Schweden – der Mülleimer für Atom-Europa

Die Hanauer RBU hat ohne Genehmigung von Schweden hochangereichertes Uran abgenommen / Atomkonzerne in Schweden bereiten sich auf die Ära nach dem Abschalten aller AKWs vor / Von der Atommüllverbrennung über die Zwischenlagerung bis zur angepeilten Endlagerung alles im Angebot  ■ Von K.P. Klingelschmitt

Das Königreich Schweden will aus der Atomenergie aussteigen. Von den insgesamt dreizehn Reaktoren, die dort bislang vor sich hin brodelten, ist einer bereits abgeschaltet worden – die restlichen sollen bis zum Jahre 2010 ihr atomares Leben aushauchen.

Die privatwirtschaftlich organisierten schwedischen Atomkonzerne – allen voran die ASEA--Atom – haben sich auf die Zeichen der Zeit längst eingestellt. Noch vor der Katastrophe von Tschernobyl, die im, von sozialdemokratischer Wachstumseuphorie geprägten Schweden nicht nur bei der Minderheit der Lappen das Ausstiegsbewußtsein geschärft hat, haben sich ASEA- Atom und SKB (Svensk Kärnbränsle Hantering) in Stockholm auf das Geschäft mit der Entsorgung und Verschrottung von radioaktivem Müll gestürzt. Während ASEA-Atom in Västeräs neben einer Brennelementefabrik eine Anlage zur Wiedergewinnung von Uran aus Atommüll betreibt, ist SKB (die Firma gehört den vier Stromgiganten des Landes) dabei, alle Möglichkeiten der Entsorgung abgebrannter Brennelemente und der Lagerung oder Behandlung radioaktiv verseuchter Abfälle in Pilotanlagen zu testen.

So betreibt die SKB in Oskershamm, gegenüber der Insel Öland, eine Verbrennungsanlage für radioaktive Abfälle. Seit 1983 wird in Forsmark – 160 Kilometer nördlich von Stockholm – in einem Felsmassiv ein Endlager für schwach- und mittelaktiven Atommüll gebaut, das schon heute als Zwischenlager genutzt wird.

Ein weiteres Zwischenlager hat die Firma Ranstad in Skövde (Mitelschweden). Dort wurde ein altes Uranbergwerk zum Lager auch für hochradioaktiven Atommüll umfunktioniert.

Das ideale Entsorgungsland

Eine weitere Verbrennungsanlage wird von Inom Studsvik Energiteknik bei Nyköping betrieben; der Firma gehören auch eine Großanlage zur Dekontaminierung von verstrahltem Metallschrott und ein entsprechendes Zwischenlager.

Der Hit für die schwedische Atomwirtschaft schließlich soll das integrierte „Entsorgungszentrum“ in Oskarsham werden, das den schönen Namen CLAP (Cen tralt Lager för använt Bränsle) trägt. CLAP soll den Schweden als Endlager für abgebrannte Brennelemente dienen und hochradioaktiven Abfall aufnehmen.

Für die pensionierte Lehrerin Ingeborg Kleinhans, die in Blickkontakt mit der ASEA-Atom in Västeräs wohnt und die seit Jahren gegen die schwedische Atommafia kämpft, ist ihr Land denn auch dabei, der „Atomabfalleimer“ Europas zu werden. Mit seiner dünnen Besiedlung (18 Einwohner je Quadratkilometer) gilt Schweden als „ideales Entsorgungsland“.

Frau Kleinhans, die im Rathaus von Västeräs schon einmal eine Tür mit einem Aschenbecher einzuschlagen versuchte, als drinnen die Stadtväter mit den ASEA- Atom-Managern über eine Ausweitung der Brennelementeproduktion verhandelten, hat sich insbesondere mit den Beziehungen der schwedischen Atomwirtschaft zu ihren „Partnern“ in der Bundesrepublik beschäftigt. Die „Abfall-Connections“ vor allem der Hanauer Reaktor-Brennelemte-Union (RBU) mit der ASEA- Atom und der Studsvik Energiteknik funktionieren nämlich seit mindestens 1981 wie geschmiert, obgleich die schwedische Regierung den Import von radioaktiven Abfällen und deren Verarbeitung verboten hat. Als die staatliche Strahlenschutzbehörde SSI Anfang 1986 „dahinterkam“, daß Studsvik Energiteknik insgesamt sechs Container mit radioaktiv verseuchten Abfällen illegal zur Zwischenlagerung angenommen hatte, gab es innerhalb der Aufsichtsbehörde den großen Knall. Einer der SSI-Direktoren stellte sein Amt zur Verfügung, nachdem SSI – wohl auf Anweisung der Regierung – die illegale Einfuhr nachträglich genehmigt hatte.

Eine Generalgenehmigung für die Studsvik Energiteknik für die Lagerung leicht- und mittelradioaktiven Abfalls aus der BRD und Italien wollte die schwedische Energie- und Umweltministerin Brigitta Dahl allerdings damals noch nicht erteilen. Doch Ausnahmen – wie das Geschäft mit den sechs Containern – sind mittlerweile die Regel geworden, denn die schwedischen Verbrennungs- und Dekontaminierungsanlagen sind bei weitem nicht ausgelastet.

Ingeborg Kleinhans und andere Mitglieder der grünen Miljä-Partei haben herausgefunden, daß von 1981 bis heute allein von der Hanauer RBU rund 70 Tonnen radioaktiv verseuchter Abfälle nach Schweden exportiert wurden, „von denen noch keine einzige Tonne zurück in die Bundesrep radioaktivem Abfall aus dem italienischen AKW Caorso durch die Studsvik Energitektik. Ende 1986 konnte dann auch Ministerin Dahl nicht länger abstreiten, daß tonnenweise ausländische Atomabfälle in Schweden bearbeitet, dekontaminiert und zwischengelagert werden. Auf eine Anfrage der konservativen Abgeordneten Brigitta Hambraeus antwortete Frau Dahl am 5. Dezember 1986, daß eine zeitliche Lagerung von Atommüll zum Zwecke der „Behandlung“ eine „ganz andere Sache“ sei, als der Import von Atom müll. Ohnehin seien die Vertragspartner von ASEA-Atom und Studsvik „alles seriöse Unternehmen“. Alle Importe liefen über ASEA-Atom in Västeräs.

Hochangereichertes Uran zu RBU-Hanau

Da die sogenannte Wiedergewinnungsanlage der ASEA-Atom erst seit einem Jahr fertig ist, wurde der Löwenanteil der RBU-Abfälle zunächst von der Firma Ranstad Mineral „wiederaufbereitet“, d.h., dem Müll wurde das wiederverwertbare Uran entzogen. Der Rest ging in die stillgelegte Uranfördergrube von Ranstad. Rund zwei Tonnen wiederverwertbares Uran wurde zur RBU nach Hanau zurücktransportiert. Andere Abfälle von RBU wurden von ASEA- Atom als „schwedischer Abfall“ deklariert, denn für die Verbrennung des ausländischen Mülls gibt es auch heute noch keine generelle Genehmigung von der staatlichen Aufsichtsbehörde. Daß Ausnahmen auch von dieser Regel allerdings längst Praxis sind, bestätigte ASEA-Atom-Manager Benkt- Oke Andersson der taz im Interview: „Wenn das Zeug bei uns ankommt, versenden wir es nach Studsvik zur Nuklear-Verbrennungsanlage.“ Alle Atomtransporte nach Schweden, die über die Straße gehen, werden von der Hanauer Top-Skandalfirma Transnuklear durchgeführt. Falls die Container nicht in Lübeck auf das SKB-Spezial-Transportschiff „Sigyn“ verladen werden können, fahren die Transnuklear- Lastwagen mit ihrer strahlenden Fracht auch schon einmal auf ein ganz normales Passagier-Fährschiff.

Doch die Beziehungen zwischen ASEA-Atom und den Hanauer Nuklearbetrieben gehen weit über die Atommüll-Deals hinaus. Nach den letzten Veröffentlichungen von ASEA-Atom lagern auf deren Gelände in Västeräs allein 76,9 Tonnen radioaktive Materialien in Form von Asche (aus der Verbrennung von Atommüll in Studsvik), Kalkschlamm, Restprodukten und nicht verbrennbaren Filtern. Die sogenannten Restprodukte weisen einen Urangehalt von 74 Prozent auf, die Asche beinhaltet immerhin noch zwölf Prozent Uran 235. Das waren – im August 1987 – wesentlich mehr radioaktive Materialien, als die ASEA-Atom an Rückständen aus ihrer eigenen Brennelementeproduktion für die schwedischen Reaktoren auf Halde liegen hatte (28,7 Tonnen). Daß ASEA-Atom so großzügig den RBU-“Schrott“ lagert, der laut den Bedingungen der schwedischen Regierung längst in die Bundesrepublik hätte zurückgeschickt werden müssen, hängt möglicherweise damit zusammen, daß die Konvertierung von Brennelementen bei der ASEA- Atom mit einer RBU-Lizenz durchgeführt wird. In ihrem Quartalsbericht III/87 nennt der schwedische Konzern diesen Umstand jedenfalls als Grund dafür, daß man die Restprodukte der RBU auf eigenem Gelände zwischenlagert. Als weiteren Grund für die „Hilfsbereitschaft“ führt der ASEA-Atom-Geschäftsbericht aus, daß – und hier dürfte die Hanauer Staatsanwaltschaft hellhörig werden – RBU den Schweden im Gegenzug 18 Tonnen hoch angereichertes, stark verunreinigtes Uran (“höghaltig, svart förorenat“) zur „Reinigung“ abgenommen habe. Die RBU in Hanau hat aber nur eine Genehmigung zur Reinigung von schwach angereichertem Uran, wie RBU-Sprecher Jend auf Nachfrage der taz bestätigte.

In einem Schreiben der ASEA- Atom an ein Mitglied der schwedischen „Volkskampagne gegen Kernkraft“ heißt es, daß die RBU mehr als 20 Tonnen Uran „zur Reinigung“ von ASEA-Atom erhal ten habe. Das sei alles kein Problem, versicherten die ASEA- Atom-Manager, da die RBU der Überwachung durch die internationale Kontrollbehörde IAEO in Wien unterliege.

AKW-Entsorgung und Verschrottung

Neben radioaktiven Abfällen lieferte RBU auch Brennelemente zur ASEA-Atom, denn die schwedische Brennelementefabrik konnte die Nachfrage der 13 AKWs des Landes allein nicht befriedigen. Als Transporteur wird in allen Papieren die Transnuklear ausgewiesen. Weiterhin steht zur Zeit die Dekontaminierung der Metallteile abgewrackter AKWs auf dem Programmplan der schwedischen „Entsorger“ ganz oben, denn Metallschrott der guten Qualität erzielt trotz Stahlkrise noch immer ansehnliche Preise.

Schon im Dezember 1985 hatte die schwedische Atomaufsichtsbehörde Umweltschützern auf Nachfrage bestätigt, daß 1985 rund 350 Tonnen kontaminierter Stahlschrott zum Zweck der Dekontaminierung von der Transnuklear nach Schweden gebracht worden ist. Darunter befanden sich exakt 60 Stahlrohre, die 16 Jahre lang das Kühlwassersystem im bundesdeutschen AKW Würgassen gebildet hatten.

Die schwedische Atomaufsichtsbehörde (SKI) hatte die Einfuhr gegenüber Studsvik Energiteknik nach dem „Gesetz für kerntechnische Tätigkeiten“ von 1984 genehmigt. Danach darf „leichtaktiver Metallschrott“ zur „Dekontaminierung“ importiert werden. Zu diesem Zeitpunkt – Mitte 1985 – hatten die Schweden in Studsvik aber erst eine Pilotanlage zur Dekontaminierung errichtet, die Anlage der ASEA-Atom war noch in der Planung. Die Dekontaminierung konnte daher nicht durchgeführt werden, und der Metallschrott wurde auf dem Studsvik-Gelände „zwischengelagert“, obgleich das schwedische Atomgesetz die sofortige Rückverschickung verlangt, denn die kurzfristige Lagererlaubnis gilt nur für die Zeit, in der die Dekontaminierung durchgeführt wird.

Verantwortlich für diesen Skandal, der in Schweden für einigen Wirbel sorgte, war ein Sachbearbeiter der Atomaufsichtsbehörde mit dem Namen Ragnar Roge, der die Langzeitlagerung für Studsvik Energiteknik schriftlich absegnete. Die Regierung enthielt sich einer Intervention.

Im April 1987 richtete Studsvik Energiteknik eine neue Anfrage an das staatliche Strahlenschutzinstitut und bat um eine Genehmigung für die Einfuhr von 77 Tonnen Stahlschrott aus dem bundesdeutschen AKW Grohnde. Das mit etwa 50 Becquerel/cm2 strahlenbelastete Material sollte von der Transnuklear „via Autofähre“ verfrachtet und bei Studsvik Energiteknik dekontaminiert werden. Auf Nachfrage der taz konnte die schwedische Atomaufsichtsbehörde in Stockholm nicht sagen, ob diese 77 Tonnen verstrahlter Schrott bereits in Nyköping eingetroffen sind, obgleich Studsvik- Manager Leif Anderson diesmal der Behörde im vorhinein angezeigt hatte, daß diejenigen Anteile, die wegen der Zusammensetzung des Materials nicht bei Studsvik dekontaminiert werden können, „bis zum Abklingen der Strahlung“ zwischengelagert werden sollen.

Die Firma, die bislang nur eine Genehmigung zur Dekontaminierung von Atomabfall verfügte, hat sich in den letzten beiden Jahren ein „Zwischenlager“ von rund 8.000 Kubikmetern selbst geschaffen.

Plutonium nicht nachweisbar

Die schwedischen Atomkonzerne holen derzeit alles ins Land, was Geld bringt. Daß die Schweden den zu ihnen exportierten Atommüll nur unzureichend kontrollieren können, ist der „Pferdefuß“ bei der europäischen Schweden- Connection. In der Regel verlassen sich die Importeure auf die Deklarierungen der Absender. So kann ASEA-Atom etwaige Alpha- Strahler – falls das angelieferte Material etwa mit Plutonium verunreinigt sein sollte – nicht erfassen, da sie nur über ein Gamma- Spektrometer verfügt (siehe Interview).

Angesichts der der über 2.000 Atommüllfässer, die zur Zeit in der Bundesrepublik kursieren und die teilweise mit Plutonium verunreinigt sind, dürften die Schweden eigentlich nicht mehr ruhig schlafen, meint Ingeborg Kleinhans. Doch leider seien die Schweden – so Frau Kleinhans resigniert – „kein so radikales Völkchen wie die Deutschen“.