Das Challenger-Gefühl

Kennst Du, werter Leser das Challenger-Gefühl? Dies Gefühl, von maßlosen Kräften immer nach vorn, ins Ungewisse gestoßen zu werden? Du spürst, wie Dein Magen sich um die Wirbelsäule legt, Deine Stirn wird fliehend, Dein Gehirn drängt sich im Hinterkopf Und jetzt an die Schreibmaschine, und los gehts, d.Spr.. Deine Glieder werden schwer und Dein Brustkorb fällt nach innen! Das ist Challenger! Du bist sicher, wenn Dich jetzt kein Hindernis mehr bremst, wirst Du diesen Planeten verlassen. Sag allem Adieu, was Dir bisher vertraut war!

Um dieses Challenger-feeling zu erleben, braucht es längst keine Weltraumraketen mehr. Es geht weit billiger. Ab 120.000.- Mark aufwärts bietet die „kleinste aber feinste“ Automobilschmiede der Republik perfekt gestylte Katapulte auf Rädern. Den Porsche. Der schnellste unter ihnen ist so alt wie die Raumfahrt.

Weissach, ein Dorf zwanzig Kilometer vor Stuttgart. Es riecht ein wenig nach Auspuff, heißem Gummi und Winter – vom Schwarzwald her. Mein zurückhaltend eleganter Begleiter stellt mich einem freundlichen, und wie er selbst meint, völlig unsportlichen Schwaben vor. Ernst Wolfgang Ettle, die etwas hängenden Schultern im roten Blouson, ist 38 und Testfahrer bei Porsche. Seit neun Jahren. Schon mit fünf Jahren sei er Traktor gefahren, meint er, sein rundes Gesicht mit dem Doppelkinn wirkt vertrauenswürdig.

Jeder habe so seine Eigenarten, meint Ernst Ettle, aber der sei ihm der liebste – und geht auf einen 911 Turbo zu. Vielleicht ist das nicht das eleganteste Modell aus dem Hause des Ferry Porsche – ein wuchtiger Spoiler sitzt der Fahrerkanzel im Nacken, das traditionsreichste ist es allemal. Ein bißchen warmfahren müsse er ihn, meint liebevoll der Herr Ettle.

Mein Mikrofon läuft, wir sind auf die Teststrecke gerollt, da beendet ein sanfter Ruck meine Gedanken an Journalistenfragen. Der Druck von hinten wird stärker – die erste Kurve, dann leicht bergauf, ja sieht er denn nicht – vorbei. Der Herr Ettle, beruhige ich mich, kennt den Weg. Und er muß das Auto erst warmfahren – aber warum hängt diese Straße denn nach außen? Jetzt ein Stück geradeaus, der Porsche muß schon ziemlich warm sein, der Tacho zeigt immerhin 210.

Ja aber Herr Ettle, sieht er denn nicht? Ich kralle mich mit der einen Hand ins Kunstleder der Seitenverkleidung, mit der anderen ins Juchtenleder des Schalensitzes. Es quietscht, schleudert, mein Magen wird hart, die Beine stemmen sich nach vorn, die Arme des Werksfahrers bewegen sich kurz und ruckartig wie eine Seismographennadel. Dann wieder geradeaus, der Druck des Katapults verstärkt sich. Links aufgetürmte Reifen, rechts ein Telefonhäuschen, vor uns ein verkürztes Stück Straße und darüber nur noch Himmel und Schäfchenwolken. Noch bin ich klar, noch weiß ich genau, daß hinter der Kuppe eine Kurve kommt. Und der Herr Ettle geht nicht vom Gas. Das wars. Das ist Challenger. Adieu schöne Welt. Vor der Fahrt sah man von hier noch den Kirchturm von Weissach. Jetzt schleudert der Porsche mehr quer als längs durch die nächsten Kurven – jetzt meint der Herr Ettle, sei er warm. Ich sage nichts mehr, vor mir beginnt der Horizont zu hüpfen als würde sich die Welt unter dem Porsche drehen. Und dieses Fahrzeug – ich verstehe es nicht mehr, ist meinem Fahrer das Liebste!

In den nächsten Runden sind meine Gadanken meist weit weg von hier, nur manchmal, wie von ferne sehe ich die Nadel eines Drehzahlmessers auf rotem Feld und das konzentrierte Gesicht des Herrn Ettle mit dem gutmütigen Doppelkinn.

Die letzten Runden sitze ich steif wie ein Stock verkeilt, alle Konzentration ist auf den sich auf den sich auflösenden Magen gerichtet. Übelkeit und Trance haben mich gleichgültig gemacht für das Chaos herumfliegender Büsche, Bäume, Asphaltstücke, Hügel, Häuser und zitternder Horizonte. Kurrze Erleichterung schafft nur noch ein Abstecher durch die Spezialteststrecke.

Wir steigen aus, der Geruch nach Gummi und heißem Öl ist stärker geworden, den Winter vom Schwarzwald her rieche ich nicht mehr. Mit Mühe halte ich die weichen Knie unter Kontrolle, die Sprache ist weg. Der Porsche hat mich geschafft. Mit dem stärksten und teuersten Porsche, den es je gab, dem 959 des Herbert von Karajan (450 PS und 420.000.- DM) werde ich von meinem freundlichen Begleiter zurückgebracht. Fragen? Für heute keine mehr.

Als ich in meinem alten VW-Bus sitze, beginnt mein Kreislauf Porsche zu spielen. Vergiß den Rest des Tages. Der 944 Turbo, den mir die Firma – ohne zu fragen – für einen Tag überließ, den Soft- Porsche für Einsteiger, lasse ich stehen – ich brauche keinen, das Leben ist auch so nicht zu lang. Porsche, das Auto für Künstler und Zahnärzte. Porsche, mindestens dreimal soviel Fahrzeugtechnik auf gleichem Raum. Wie meinte Herr Ettle: Wir sind keine Rennfahrer, wir sind solide. Er selbst, privat, fährt ein Auto wie du und ich. Aber, was soll man sagen, wir Schwaben leben eben auch von den Verrücktheiten anderer. Dietrich Willier