Die Sandinisten fürchten die „Chilenisierung“

Sandinistischer Politiker warnt auf Kundgebung vor einem Scheitern des Friedensprozesses / Jugendliche attackieren Parteisitz der Opposition / Rechtsparteien fordern Beteiligung an Verhandlungen zwischen Sandinisten und Contra  ■ Aus Managua Thomas Schmid

In Nicaragua geht das Wort von der Chilenisierung um. Vor allem bei den Sandinisten. „Wir werden eine Chilenisierung nicht zulassen“, donnerte Bayardo Arce, einer der neun Comandantes des Nationaldirektoriums der Sandinistischen Befreiungsfront (FSLN) am Freitag abend vor etwa 50.000 Zuhörern. Sie waren zur Erinnerung an das Massaker vom 22. Januar 1967, bei dem Dutzende unter den Kugeln der somozistischen Nationalgarde starben, auf dem Platz vor der Kathedrale in Managua zusammengekommen. Die Chilenisierung, das ist die Einmischung der USA in die nationale Politik, die gezielt geförderte Polarisierung der Gesellschaft, das provozierte Chaos wie unter der Linksregierung Allende.

Doch zwischen Chile im Sommer 1973 und Nicaragua im Winter 1988 besteht ein entscheidender Unterschied. Hier steht die Armee auf Seiten der Regierung. Mit wehenden roten und rotschwarzen Fahnen strömten am Freitag auch Tausende von Soldaten zur Massenkundgebung herbei. Der Redner schlug scharfe Töne an: „Wenn Diplomatie und Politik scheitern, wird die Parole heißen: Alles für den Krieg, bis zum letzten Mann, bis zur letzten Frau.“ Es ist sicher kein Zufall, daß Bayardo Arce, ein Hardliner der sandinistischen Führung, mit der Rede betraut wurde. Bei der sandinistischen Basis verkaufen sich die Zugeständnisse schlecht, die die Regierung seit dem Abschluß des Friedensabkommens der Präsidenten Mittelamerikas im August letzten Jahres gemacht hat: Wiederzulassung der oppositionellen Presse, direkte Gespräche mit der Contra und andere. Bayardo Arce beschwichtigt seine Zuhörer und warnt seine Gegner. Auch Staatschef Daniel Ortega hat bereits angekündigt, daß die Schraube wieder angezogen wird, falls der US- Kongreß eine neue Hilfe für die Contra verabschiedet: „Wir müßten den Ausnahmezustand wieder verhängen mit all seinen Konsequenzen. Das würde auch eine Pressezensur einschließen.“

Seit über drei Monaten ist La Prensa, das Organ der politischen Rechtsopposition, wieder unzensiert auf dem Markt, wettert gegen die „sandinistische Diktatur“ und malt die alltägliche Katastrophe – Unterversorgung, Benzinmangel, Zusammenbruch des öffentlichen Verkehrs, rasende Inflation – in grellsten Farben. „Was vor 21 Jahren passierte, hat sich heute wiederholt“, heißt es in der Freitagausgabe des Blattes, und schamlos wird das Massaker der somozistischen Diktatur mit den Steinwürfen einiger sandinisti scher Jugendlicher verglichen. Die „göttlichen Horden“, wie sie der Volksmund nennt, hatten abgewartet, bis die etwa 200 versammelten Frauen der „Bewegung der Angehörigen politischer Gefangener“, in der Regel Mütter einsitzender Contras und somozistischer Nationalgardisten, antisandinistische Parolen riefen und schließlich eine FSLN- Fahne herunterrissen. Spätestens bei diesem Sakrileg – der Berichterstatter war zu früh gegangen, aber die Versionen stimmen überein – setzte der Steinhagel ein. Als einziger wurde Agustin Jarquin, Führer einer Fraktion der Sozialchristlichen Partei, leicht verletzt.

Agustin Jarquin hatte kurz zuvor, im ersten Stock des Lokals mit weiteren Repräsentanten der Coordinadora Democratica eine Pressekonferenz abgehalten. Dort forderte das Bündnis der legalen Rechtsparteien trilaterale Verhandlungen zwischen Regierung, politischer Opposition und Contra. Dies hatte wenige Tage zuvor auch die Contra zum erstenmal verlangt. Bislang haben die Sandinisten allerdings immer deutlich gemacht, daß sie mit der Contra ausschließlich einen Waffenstillstand aushandeln wollen und nur mit der legalen Opposition im Rahmen der „Nationalen Versöhnungskommission“ nur über politische Fragen zu debattieren gewillt sind.

Und es ist kaum anzunehmen, daß sie der Forderung nach trilateralen Verhandlungen nachkommen und so an einer Allianz zwischen politischer Opposition und militärischem Gegner mitschmieden. Eine solche Allianz stellt die Coordinadora, deren Führer sich jüngst in Guatemala mit Contra- Führern getroffen haben, allerdings in Abrede.