Durchsuchungsorgien in Trier

Bestürzung über das Vorgehen der Staatsanwaltschaft gegen Volkszählungsgegner / Ermittler sang Horst-Wessel-Lied / Bei Flugblattverteilern grundsätzlich Personalien festgestellt  ■ Aus Trier Felix Kurz

Dem Trierer Amtsrichter Rang lief die Galle über. Sehr plötzlich packte er seine Unterlagen zusammen, erhob sich und raunzte stehend in den Gerichtssaal, daß er die Verhandlung unterbreche, „weil ich mir das Verhalten der Verteidigung nicht länger bieten lasse“. Per Mazurek, Rechtsanwalt aus Saarbrücken, hatte zuvor lediglich wissen wollen, welche Nummer denn auf einem Erhebungsbogen der Volkszählung nach Meinung der Staatsanwaltschaft herausgetrennt werden sollte. Per Mazureks Mandant ist der Trierer Buchhändler Wolfgang Billen. Für eine Informationsbroschüre der „Trierer Initiative gegen die Volkszählung“ zeichnete er presserechtlich verantwortlich. Weil in der Schrift auch auf das Abschneiden der Kennummer zum Zwecke der Anonymisierung der Erhebungsbögen hingewiesen wurde, setzte ihm die Staatsanwaltschaft mit einer Anklage wegen des öffentlichen Aufrufs zu einer Straftat, nämlich einer Sachbeschädigung eines Zählbogens, nach. In Trier werden bei Flugblattverteilern grundsätzlich die Personalien festgestellt. „Kann sein, daß wir mit denen ja noch mal sprechen müßten“, sagt ein Polizeibeamter. Nachts um zwei drangen Polizeibeamte in die Wohnung von Wolfgang Billen ein, um „Beweismaterial“ sicherzustellen.

In Trier nicht ungewöhnlich, wenn es darum geht, kritische Geister zu verfolgen. Im Polizeipräsidium stellte man zur Bekämpfung von Volkszählungsgegnern eigens einen Kripobeamten ab. Beim Kreisvorstandssprecher der Grü nen, Heinz-Jürgen Stolz – im gleichen Verfahren wie Wolfgang Billen angeklagt – fotografierte die Polizei im Beisein eines Staatswanwalts fachgerecht die Wohnung. „Bei Dingen, die einen politischen Touch haben, machen wir das“, erklärt der 58jährige Kriminalhauptkommissar vor Gericht wie selbstverständlich.

Meist mit dabei ist bei den Durchsuchungs-Orgien der Trierer Staatsanwalt Horst Leisen. Er wurde mittlerweile zur Staatsanwaltschaft nach Frankenthal versetzt. Dort feierte er seinen Einstand erst einmal feuchtfröhlich mit seinen neuen Kollegen, die offenbar keinerlei Anstoß daran nahmen, daß der Grund für Leisens Versetzung recht ungewöhnlich war. Der für politische Strafsachen zuständige Strafverfolger sang im Kreise seiner Justizkollegen mehrmals das nationalsozialistische Horst-Wessel-Lied. Nach Presseveröffentlichungen brachte ihm das zwar formal ein Ermittlungsverfahren ein, das aber nach Informationen der taz sang- und klanglos im Sande verlaufen wird.

Mit einem Ortstermin in der Trierer Weinstube Oberbillig, in der Leisen das Horst-Wessel-Lied in einem Nebenraum gesungen hat, will man ermitteln, daß die nationalsozialistische Sängerei nicht im Schankraum zu hören gewesen sei. Im formaljuristischen Klartext würde das dann heißen, ein öffentliches Absingen hätte es nicht gegeben und Leisen kann dann mit der Einstellung des Verfahrens gegen ihn rechnen.

Der Deutsche Juristinnenbund, Untergruppe Saarbrücken/Trier, hat sich zum Wochenende in einer Erklärung bestürzt darüber geäußert, daß man sich in Justizkreisen darauf konzentriert, wer die Öffentlichkeit über das braune Liedgut des Staatsanwalts und seiner Zechbrüder informiert hat und nicht auf den Vorgang selbst. Die Juristinnen meinen, daß das Absingen des Horst-Wessel-Liedes, selbst „wenn es nicht auf eine rechtsradikale Gesinnung zurückzuführen ist, nicht verharmlost werden darf“. Gerade weil „weite Kreise“ der Trierer Justiz das Verhalten des Staatsanwalts Leisen „geduldet“ haben, sei das Ansehen der Justiz „nachhaltig geschädigt“ worden.