„Revolutionstouristen“ nerven Stahlkocher

Auseinandersetzungen in Rheinhausen leiden unter linker Besserwisserei / „Schimansky-Effekt“ auf der Bürgerversammlung / Affront gegen IG Bergbau und Energie / Verbrüderung von Stahlarbeitern und Bergleuten?  ■ Von Walter Jakobs

„In Zukunft werden wir solche Veranstaltungen nicht mehr machen. Ihr macht jede Diskussion kaputt.“ Drei Stunden lang hatte Theo Steegmann, zweiter Betriebsratsvorsitzender von Krupp-Rheinhausen, geduldig zugehört. Dann war Schluß. Helmut Laakmann, Obermeister im Stahlwerk und einer der Motoren des Rheinhausener Kampfes, brachte die Stimmung der wenigen Stahlarbeiter, die am Samstag nach dreitstündiger „Diskussion“ noch in der Menage des Krupp- Werkes ausharrten, auf den Punkt: „Das hält man ja im Kopf nicht mehr aus, was hier für ein Stuß geredet wird.“ Eigentlich sollte über die Initiative von Hans Janßen, ehemals im Vorstand der IGMetall, geredet werden, der zusammen mit Prof. Harald Mattfeldt eine Initiative gestartet hat, um per Volksbegehren die Vergesellschaftung der Stahlindustrie in Nordrhein-Westfalen auf den Weg zu bringen. Zwar versicherten viele Betriebsräte, Politiker der Grünen und der DKP ihre Unterstützung, aber der Auftakt für diese Aktion ging gehörig daneben. Ein Verdienst von ein paar dutzend „Revolutionstouristen“ (Steegmann), die in Rheinhausen zunehmend zum Problem werden. Ganz besonders schlimm gebärdet sich dabei ein Verein, der sich „Bund Sozialistischer Arbeiter“ nennt. Deren Akteure, die im Stile von religiösen Eiferern gleich dutzendfach in Rheinhausen zum Mikrophon drängen, um alles, was unterhalb der sozialistischen Revolution an politischem Kampf diskutiert wird, zu verdammen, sind dabei, die bisher in Rheinhausen gepflegte Liberalilät zu beenden.

Und das gilt nicht nur für solche Veranstaltungen wie am Samstag. Auch die öffentlichen Versammlungen des Bürgerkomitees, die zweimal wöchentlich 800 bis 1.000 Menschen aus Rheinhausen anlocken, leiden unter den sich „links“ gebenden Klugscheißern der Republik.

Schimanski war da

Da ist es geradezu eine Erholung, wenn ein echter Pastor in Rheinhausen das Wort ergreift. Als am Freitag abend Pfarrer Dieter Kelb die Bürgerversammlung eröffnete, drängten sich noch 200 Menschen mehr als üblicherweise in den Saal. „Das ist der Schimanski- Effekt“, sagte einer und spielte auf Götz George und Eberhard Feik an, die sich für den Abend angekündigt hatten. Doch die waren schon um 17 Uhr an Tor 1. „Es ist einfach Scheiße, was hier passiert“, hatte Schimanski alias Götz George dort gesagt. Gefragt, ob er das etwas konkreter machen könnte, steigerte der Fernsehkommissar seine Empörung: „Eine große Scheiße.“ Sicher, die Rheinhausener haben sich über den Besuch gefreut, aber sie schreiten schnell weiter zur Tagesordnung. Pfarrer Kelb unter dem Gelächter des Saals: „Er wünscht uns Solidarität und all das, was Fernsehstars sonst noch so wünschen.“ Danach las der Geistliche einen Brief des Bürgerkomitees an die Bergarbeiter vor, der möglicherweise noch für einigen Zündstoff im Revier sorgen wird. Im Brief an die Bergmänner, der vor den vier zur Schließung bestimmten Zechen verteilt werden soll, heißt es: „Laßt uns nicht nur eins sein in der Betroffenheit sondern auch im Widerstand, im gemeinsamen Handeln für den Erhalt unserer Arbeitsplätze... Gemeinsam können wir erfolgreich sein, denn unsere Sache ist gerecht.“ Ein Aufruf, der zugleich einen Affront gegen die IGBE-Führung darstellt, denn die Bergarbeitergewerk schaft trägt die Schließung, wie bei der Kohlerunde vereinbart, voll mit. Käme es tatsächlich zu einer Verbrüderung von Stahlkochern und Bergleuten, drohten nicht nur für die Bundesregierung und Unternehmer unangenehme Zeiten. Auch die IGBE und die Landesregierung gerieten unter Druck.

SPD will „Gleitflug“

Die nordrhein-westfälische SPD hat am Samstag mit einer landesweiten Betriebsrätekonferenz die Serie einer gößeren Zahl von sogenannten „Zukunftsgesprächen“ eröffnet. Die fast komplett anwesende Düsseldorfer Regierungsmannschaft, die an einem „Gleitflug“, an eine weiche Landung für die Rheinhausener Stahlkocher pusselt, schwieg sich über mögliche sozialdemokratische Initiativen gänzlich aus. Selbst zu dem tags zuvor vom Bundesvorstand der sozialdemokratischen Arbeitnehmergruppe AFA geforderten Moratorium sagte Ministerpräsident Rau kein Wort. Vor den Stahlrunden in Düsseldorf (17.2.) und Bonn (24.2) will man sich wegen des Finanzpokers öffentlich nicht festlegen. In der Umgebung der Rau-Regierung, in den sogenannten gut informierten Kreisen gab man sich aber überraschend eindeutig: „Der größte Teil von Rheinhausen wird bleiben“, hieß es.

Innenminister Herbert Schnoor, der in Rheinhausen sicherlich populärste Politiker, nutzte die Mülheimer Betriebsrätekonferenz, um für „Besonnenheit“ zu werben. Die Polizei werde ihre Linie fortsetzen, aber alle Beteiligten müßten wissen, daß auch die Polizei auf einem schmalen Grat wandere. Die Stahlarbeiter dürften sich nicht in Gegensatz zu den „Arbeitnehmern bei der Polizei, die zu 80 Prozent in der Gewerkschaft der Polizei organisiert sind“, bringen lassen. Schnoor weiter: „Die bewaffnete Macht ist nach dem Krieg Teil der Arbeiterbewegung geworden.“ Wie diese Macht in Duisburg agiert hat, paßt einem Teil der Bundesbürger überhaupt nicht. Gegen Staatsanwälte, Polizeipräsident und Stadtdirektor liegen inzwischen über 20 Strafanzeigen (Nötigung, Strafvereitelung) vor.