Einheit entzwei

■ Zur Großdemonstration in Tel Aviv

Eine Regierung der „Nationalen Einheit“ mag es in Israel noch geben – eine nationale Einigkeit in der Frage der Besatzungspolitik gibt es seit samstag nicht mehr. Die Demonstration in Tel Aviv markiert ein Wiedererwachen der israelischen Friedensbewegung „Peace Now!“. Nur während des Libanon-Krieges 1982 demonstrierten so viele Menschen gegen die Politik der Regierung.

Die Proteste von heute zeigen eine neue Qualität. Es geht nicht mehr um einen Krieg zwischen Israel und einem Nachbarland, es geht um Israel selbst. In den letzten Jahren ist es der Linken in Israel nie gelungen, mehr als ein paar hundert Anhänger in Demonstrationen gegen die Besatzung der Westbank und des Gaza-Streifens zu mobilisieren. Der Libanon- Krieg war schon von Beginn an in ganz Israel umstritten, die Okkupation von Westbank und Gaza-Streifen dagegen weitestgehend akzeptiert. Mit den Demonstrationen vom Wochenende kündigt sich an, daß dieser nationale Konsens zerbricht.

Es wird wohl nicht bei einer Spaltung in der Bevölkerung bleiben. Schon jetzt kündigt sich ein Konflikt in der Arbeiterpartei an. Verteidigungsminister Rabins Politik der „Eisernen Faust“ bleibt auch in den eigenen Reihen nicht länger unwidersprochen. Damit haben die Proteste der Palästinenser in den letzten Wochen mehr erreicht als UNO-Resolutionen, Bombenanschläge und Proteste der letzten 20 Jahre: Die Herrschaft Israels in den besetzten Gebieten wird auch im eigenen Land in Frage gestellt. Klaus Hillenbrand