: Eine Zeitung mit Extremistenbeschluß
Die regionale Monopol-Zeitung Offenbach-Post übt Selbstzensur: Über „Staats- und Verfassungsfeindliches“ soll nicht mehr berichtet werden / Zimmermanns Verfassungsschutzbericht ist maßgeblich / Keine Berichterstattung über einen antifaschistischen Fackelzug ■ Von Vera Gaserow
Berlin (taz) – Am 10.Dezember vergangenen Jahres sah das morgendliche Exemplar der einzigen Offenbacher Tageszeitung eigentlich aus wie immer: Lückenlos fügte sich Zeile an Zeile und doch hatten einige Leser das Gefühl, daß da irgendwo ein weißes Loch sein müßte. Rund 200 Menschen nämlich waren am Vortag in einem Fackelzug zu der von den Nazis in Brand gesteckten Synagoge gezogen, um dort der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus zu gedenken. Seit Jahren ruft das „Antifaschistische Aktionsbündnis Langen“ zu diesem Mahngang auf, und am nächsten Tag fand sich gewöhnlich ein Bericht darüber in der örtlichen Presse. Anders in diesem Jahr: keine Ankündigung in dem Veranstaltungskalender, keine Zeile über das Ereignis selber in der Offenbach-Post.
Ein Leser der Zeitung, Teilnehmer des Fackelzuges, wollte wissen, warum und bat die Chefredaktion um eine Erklärung. Die kam drei Wochen später in Form eines Briefes des stellvertretenden Chefredakteurs, Dr. Hermann- Josef Seggewiß. „Die Offenbach-Post“, so heißt dort wörtlich, „verpflichtet sich in ihrer Berichterstattung unter anderem der Verteidigung unserer demokratischen Rechtsordnung und sieht demzufolge auch keinen Anlaß, über Gruppen oder Ereignisse zu berichten, deren Ziele diesem unserem Staat oder seiner Verfassung entgegenstehen“. Nun steht zwar in der Verfassung „dieses unseren Staates“ auch der eindeutige Satz von der Zensur, die nicht stattfindet, doch schließlich ist das Grundgesetz nicht das einzige Nachschlagewerk, das dem stellvertretenden Chef der Offenbach-Post ans Herz geht.
Weitere Hilfe bei journalistischen Entscheidungen bietet da zum Beispiel ein anderes Periodikum: der Verfassungsschutzbericht des Hauses Zimmermann. Und aus diesem Verfassungsschutzbericht weiß Dr. Seggewiß folgendes: Das „Antifaschistische Bündnis Langen“, um deren Veranstaltung der Disput ging, werde unter anderem mitgetragen von dem örtlichen Kreisverband der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN), diese wiederum werde vom Bundesinnenministerium als verfassungsfeindliche Organisation eingestuft, weil sie ihrerseits korporativ dem Weltfriedensrat angeschlossen ist, und der nun wieder werde als „kommunistische Tarnorganisation“ vom ZK der KPdSU gesteuert.
Nun mag der Präsident der VVN, der katholische Priester Professor Dr. Josef Rossaint, noch nicht ahnen, daß er ein von Moskau gesteuerter Verfassungsfeind ist. Auch UNO-Generalsekretär Peres de Cuellar wird noch in Unkenntnis darüber sein, wen er da im September letzten Jahres geehrt hatte, als er die „Internationale Föderation der Widerstandskämpfer“, deren Mitglied die VVN ist, sogar als „Botschafter des Friedens“ auszeichnete. Doch zugegeben, die UNO ist weit und Offenbach und seine Post sind nahe, und diese weiß daher besser Bescheid, wer Verfassungsfeind ist.
Der wie ein hausinterner Radikalenerlaß anmutende Brief aus der Chefetage der Offenbach Post regte etliche Leser des Monopolblattes auf, die schon seit einiger Zeit eine Rechtswende in dem Blatt feststellen. Und die, so meinen einige, habe sich noch verschärft, seitdem Minister Schwarz-Schillings Pressesprecher Ulrich Jung seinen Posten bei der Post gegen den des Chefredakteurs bei der Post in Offenbach getauscht hat.
Nach dem besagten Brief der Chefredaktion hat die Offenbacher SPD den Bürgermeister der Stadt aufgefordert, gegen diese Diffamierung der VVN zu protestieren. Gleiches will auch ein Bündnis aus Gewerkschaften, Grünen, SPD, Naturfreundejugend und anderen Gruppen tun, das sich jetzt aus Anlaß des Briefes aus der Chefetage der Post zusammengefunden hat.
In der letzten Woche schien es noch so, als ob der Disput in eine ganz konstruktive Diskussion zwischen der VVN und der Offenbach-Post münden könnte. Chefredakteur Jung hatte das Angebot des örtlichen VVN-Vorsitzenden Karl Schild angenommen, doch einmal ein persönliches Gespräch zu führen, weil er es als ein Mann, der zehn Jahre lang von den Nazis gefangen gehalten wurde, als „bösartig“ empfand, die VVN als kommunistische Tarnorganisation zu diffamieren.
Am 2. Februar sollte die vereinbarte Aussprache stattfinden, doch ein Anruf der taz bei der Offenbach-Post ließ das Treffen platzen. Der taz (immerhin auch Objekt verfassungsschützerischer Aktivitäten) erklärte man, man habe zu der ganzen Angelegenheit überhaupt nichts zu sagen, und der VVN teilte man mit, das vereinbarte Gespräch sei nunmehr abgesagt. Punktum!
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