Kohl in Prag und die Flaggschiffe der Nation

■ Bei seinem Staatsbesuch unterzeichnete Kohl ein Binnenschiffahrtsabkommen mit der CSSR / An der Flaggenfrage drohte der Vertrag zu scheitern / Heute besucht Kohl die Gedenkstätte Lidice und wird auf dem Hradschin von Husak empfangen

Aus Prag Alexander Smoltczyk

Die Größe eines Kanzlers läßt sich auch ablesen an den Höhepunkten seiner Staatsbesuche. Botschaftsrat Metzger hatte noch am Montag abend im Palais Lobkowicz um Verschwiegenheit gebeten, als er die Nachricht verkündete - nach langem Verhandeln könne jetzt der Vertrag über die Binnenschiffahrt unterschrieben werden. Denn, so hieß es gestern im Gefolge des Kanzlers, die Tschechen hätten in der Westberliner Flaggenfrage nachgegeben. Die Vorgeschichte wirft ein Licht auf die Feinheiten mitteleuropäischer Diplomatie. Nachdem mit dem Rhein– Main–Donau–Kanal eine Schiffahrtsroute vom Schwarzen Meer zur Nordsee fertiggestellt wurde, müssen Verträge nun dafür sorgen, daß sie auch frei befahren werden kann. Als heikler Punkt stellte sich die Frage heraus, unter welcher Flagge die in Westberlin registrierten Schiffe segeln sollten. Ungarn und die CSSR wolten die Fahne mit dem Berliner Bären gehißt sehen - die Bundesregierung dagegen schwarz–rot–gold. Nach langem Überlegen entdeckten die Ungarn ein altes, fast vergessenes Gesetz, nachdem es den Schiffen auf ungarischen Kanälen freigestellt sei, ob sie flaggten oder nicht. Insgeheim versprachen sie, keinen Berliner zurückzuschicken, wenn er unbedingt die Bundesflagge zeigen wolle. Gleiche Welle - gleiche Bagatelle: Auch die tschechoslowakischen Schiffe könen über den Elbe–Donau–Kanal an das neue Wasserstraßennetz angeschlossen werden, auch sie verhandelten ein Jahr lang über die Flaggenfrage. Das Gewicht des Bruttosozialprodukts setzte sich in Politik um: Die CSSR gab dem Drängen der Bundesregierung nach und übernahm das ungarische Modell. So verhalf die CSSR dem Staatsbesuch Kohls noch zu einem gewissen Höhepunkt. Es wird vermutlich der Einzige bleiben, sofern der Kanzler nicht von der Vergangenheit aufs Neue eingeholt wird, der er so gerne entfliehen möchte: Heute früh wird Kohl die Gedenkstätte Lidice besuchen und anschließend von Staatspräsident Gustav Husak auf dem Hradschin, der Prager Burg, empfangen werden. Dort residierte Hitlers stellvertretender Reichsprotektor Heydrich, der den Pragern noch in schlechter Erinnerung ist. An Fettnäpfchen mangelt es also nicht. Offizielle Gespräche mit Mitgliedern von Charta 77 sind nicht vorgesehen. Es wird aber Kontakte von Teltschik und Volker Ruehe mit der Charta geben.