Rein in den Knast, raus aus der Republik

■ Nach den jüngsten Verhaftungen will die DDR ihre aktivsten Kritiker bald an den Westen loswerden

Die DDR-Führung hat zum großen Hammer gegriffen: Den inhaftierten Mitgliedern der Initiative „Frieden und Menschenrechte“ werden jetzt nachrichtendienstliche Verbindungen in den Westen vorgeworfen. Nach schnellen und drastischen Urteilen – bis zu lebenslänglich kann verhängt werden – will man offenbar die unbequemen Kritiker Richtung Bundesrepublik abschieben. Doch diejenigen Aktivisten, die keinen Ausbürgerungsantrag gestellt haben, wollen die DDR von innen her verändern. So lähmte die Furcht, abgeschoben und ausgebürgert zu werden, auch das Treffen von 1.000 Oppositionellen am Montag in einer Ostberliner Kirche.

Die Stasi kam morgens um fünf, und die Herren hatten es eilig. Aus ihren Betten heraus wurden am Montag die Ost-Berliner Oppositionellen Ralf Hirsch, Regine und Wolfgang Templin, Bärbel Bohley, Werner Fischer und Freya Klier festgenommen. Bärbel Bohley, so berichten Verwandte, ließ man nicht einmal Zeit, sich anzuziehen, bevor sie abgeführt wurde. Die beiden Kinder von Wolfgang und Regine Templin wurden ins Heim eingeliefert.

Jetzt sitzen fast alle führenden Mitglieder der Intitiative „Frieden und Menschenrechte“, die beiden Mitarbeiter der Umweltbibliothek Andreas Kalk und Till Böttcher und das Künstlerehepaar Stephan Krawczyk und Freya Klier hinter Gittern. Landesverrat und Kontakt mit geheimdienstlich gesteuerten Kreisen in West-Berlin, so stand es gestern in allen DDR-Zeitungen, wirft man ihnen vor. Auch die seit zehn Tagen inhaftierte Oppositionelle Vera Wollenberger und der Liedermacher Stephan Krawczyk sollen laut offizieller DDR-Darstellung vom Westen gesteuerte Landesverräter sein. Beide waren am 17.Januar auf dem Weg zur offiziellen „Kampfdemonstration“ der SED für Rosa Luxemburg abgegriffen worden und sitzen seitdem in Haft.

Alle Inhaftierten gehören zu den aktivsten Oppositionellen in Ost-Berlin. Wie Stephan Krawczyk, der in einem seiner Lieder singt „Ich fordere ein öffentliches Sein“, haben auch die Mitglieder der Initiative „Frieden und Menschenrechte“ für sich in Anspruch genommen, ihre Kritik an der DDR öffentlich zu formulieren. Die Nische Kirche, in die sich viele DDR-Protest-Gruppen zurückziehen, hatten sie bewußt verlassen. Ihre unabhängige Zeitschrift, der Grenzfall, wurde nicht mit dem schützenden Zusatz „nur zum innerkirchlichen Gebrauch“ gekennzeichnet. Die Gruppe wollte die DDR-Verfas sung beim Wort nehmen und das dort garantierte Recht auf freie Meinungsäußerung und Pressefreiheit nutzen.

Seit November, als die Stasi bei ihrer Razzia in der Umweltbibliothek den Grenzfall beschlagnahmen wollte, der dort angeblich gedruckt wurde, standen die Mitglieder der Initiative unter Bewachung. Die Gruppe, die sich zum Sozialismus bekannte, war den führenden SED-Funktionären offenbar so unangenehm geworden, daß man sie auf dem schnellsten Wege ruhigstellen wollte. Eine Auseinandersetzung mit Argumenten gab es nicht. Als die Gruppe im Dezember am Tag der Menschenrechte für „Demokrati sierung und Herstellung von Rechtsstaatlichkeit öffentlich demonstrieren wollte, wurden die Demonstranten eingefangen und in Sammelzellen gesperrt. Mundtot machen ließen sie sich dennoch nicht. Als der Chefredakteur der auflagenstarken FDJ-Zeitung Junge Welt, Hans-Dieter Schütt, im Dezember in einem Kommentar die unabhängigen Friedensgruppen mit den Skin-heads gleichsetzte, erstattete die jetzt inhaftierte Vera Wollenberger Strafanzeige. Sie ist Mitbegründerin der „Kirche von unten“, die im letzten Sommer den „Kirchentag von unten“ organisierte. Ihre Anzeige blieb bislang von der Staatsanwaltschaft unbeanwortet.

Stattdessen starteten die DDR- Organe gestern weitere Diffamierungskampagnen gegen die DDR- Opposition, wie der im Neuen Deutschland abgedruckte Artikel gegen den zwangsabgeschobenen Roland Jahn belegt (s. Seite 1). Auch gegen die zunehmende Popularität der mit Berufsverbot belegten und nun eingeknasteten Künstler Stephan Krawczyk und Freya Klier waren die zuständigen Stellen in letzter Zeit mit Schmähungen vorgegangen (“Rattenfänger Reagans“). Die Ordnungsstrafen, Vernehmungen, Geldstrafen und Berufsverbote hatten beide Künstler nicht an ihren Auftritten in DDR-Kirchen hindern können. Rund 80.000 Menschen hatte der Liedermacher in seinen Konzerten in Gemeindesälen und Kirchen erreicht.

Seit die Künstler im November letzten Jahres den DDR-Chefideologen Hager öffentlich aufforderten, Gorbatschows Reformkurs endlich in der DDR umzusetzen, stehen beide endgültig auf der schwarzen Liste. Wenn man ihnen jetzt bis zu lebenslanger Haft in Aussicht stellt, dann ist eigentlich ganz anderes geplant: eine Zwangsabschiebung in den Westen. Clara Roth