Keine Spuren in Lidice hinterlassen

Man sah ihn schon von weitem: Hupend und blinkend raste der Troß des Kanzlers auf die Stelle des Gedenkens zu. Eine gute halbe Stunde Protokollzeit für sieben Jahre deutscher Besetzung der Tschechoslowakei. Immerhin, so Regierungssprecher Ost auf die Frage der taz, es sei der ausdrückliche Wunsch Kohls gewesen, „auch ganz dunkle Kapitel der beiderseitigen Beziehungen nicht auszuklammern“.

Lidice ist gewiß das dunkelste unter ihnen. 10. Juni 1942. Der „Stellvertretende Reichsprotektor von Böhmen und Mähren“, Reinhard Heydrich, war bei einem Attentat getötet worden, SS, Polizei und Wehrmacht nahmen Rache. Nicht nur wurden alle 199 Männer des Dorfes auf der Stelle erschossen, Frauen und Kinder ins KZ gebracht. Die Deutschen zerstörten auch die Häuser, die alte Kirche, schütteten den Dorfteich zu und pflügten den Friedhof um. Keine Spur sollte vom Ort übrig bleiben.

Dem deutschen Kanzler wird die Geschichte des Dorfes erzählt, als er durch die feuchten Wiesen zum Holzkreuz geht, dort wo damals der Hof des angeblichen Mitattentäters Horak gestanden hatte. Was sagt ein deutscher Kanzler an einem solchen Ort? „War jetzt hier der Ort?“, fragt er und erkundigt sich nach den genauen Grenzen des Dorfes und nach den Berufen, denen die Männer hier nachgingen. Ein sinnendes Nicken ab und zu – dabei bleibt es. Nach der Kranzniederlegung eine kleine Gedenkpause, und schon schreitet der Kanzler im Gespräch mit Außenminister Chnoupek etwas kurzatmig die Anhöhe zum Museum hinauf. Diesmal ist Kohl es, der etwas zu berichten weiß. Daß Deutschland 90 Prozent seiner jüdischen Bevölkerung verloren habe etwa, oder daß viele nur aufgrund der Hilfe von mutigen Mitbürgern emigrieren konnten. Damit ist er auch schon am Museum angelangt.

Fast wäre alles gut gegangen, wenn nicht... ja, wenn nicht ein junges Paar aus Schleiz in der DDR auf den Kanzler zugestürzt wäre, um ihn auf ihre Ausreisewünsche aufmerksam zu machen. Er hört sie sich an. Aber dann ist es vollbracht, eine Gedenkstätte wurde ohne Faux Pas, und das ist vielleicht nicht das Wenigste, von Helmut Kohl besucht. Die Delegation steigt in schwarze Limousinen, das Pärchen in den Trabbi – und Lidice bleibt zwischen fröstelnden Äckern und kahlen Bäumen zurück. Spuren wurde auch – diesmal keine hinterlassen.