Die Atomgemeinde betet sich gesund

■ Ihr Kirchentag heißt „Deutsches Atomforum“ und fand diese Woche in Bonn statt

Die Atomwirtschaft erlebt ihre (nach Tschernobyl) zweite große Legitimationskrise. Verdacht auf Proliferation, verschobene Fässer, geschmierte Sicherheitsexperten, lange Bordellnächte in kurzen Hosen drücken auf die Seele. Da bedarf es dringend seelsorgerischen Zuspruchs. Beim Deutschen Atomforum fand man ihn. Und man fand ein neu geplantes Bundesamt für Reaktorsicherheit, das der skandalgeschüttelten Branche wieder auf die Beine helfen soll. Da kommen auch CDU-Abgeordnete ins Schwitzen.

Endlagerprobleme beherrschen die Szenerie, drinnen wie draußen. Drinnen beschwört die Creme der deutschen Atomgemeinde unter den Jugenstil- Leuchtern des Pullman-Hotels Königshof „Fortschritte bei der Umsetzung des Entsorgungskonzepts“. Draußen wollen die etwa 200 Demonstranten am liebsten die gesamte „Atommafia endlagern“, wie ihre Transparente versichern.

Drinnen eröffnet Preussag- Chef Hermann Krämer in gedrückter Stimmung die Wintertagung des deutschen Atomforums, jener Public-Relation-Zentrale, in der alles vertreten ist, was hierzulande in Sachen Atomspaltung etwas auf sich hält. „Kernenergie heute – die großen Themen“ – das Motto der Veranstaltung war so schön ausgedacht. Niemand hatte sich vorstellen können, daß nur ein großes Thema bleiben würde. Nicht wenige bezweifeln, ob sich die Atomwirtschaft von dem neuen „schweren Vertrauensverlust“ wird erholen können. Im Sitzungssaal läuft unterdessen etwas mühsam das Programm zur moralischen Aufrüstung an.

Wer sich „heute noch“ zur nuclear community zählte, so beschwört Krämer die Anwesenden, möge ihr trotz aller Widrigkeiten weiter „die Treue halten“. Einer, der mit der beschwörenden Aufforderung gemeint sein könnte, hat es bereits vorgezogen, nicht zu erscheinen. Wirtschaftsminister Bangemann, als Hauptredner angekündigt, schickt seinen Staatssekretär von Wartenberg. Und auch sonst hat niemand aus der Bonner Politprominenz den Weg in den „Goldsaal“ an der Adenauerallee gefunden.

Von Wartenberg nimmt wie seine Vor- und Nachredner die Vorgänge um Transnuklear „sehr ernst“, wie alle anderen bedauert er, daß „das Fehlverhalten Einzelner“ den ganzen Berufsstand bedrohe. Von Zeit zu Zeit entschlüpfen ihm Highlights, die seinem Chef alle Ehre gemacht hätten: „Verantwortliches Handeln heißt, dafür zu sorgen, daß die friedliche Nutzung der Kernenergie verantwortbar bleibt.“

Walter Hohlefelder, dynamischer Töpfer-Abgesandter und im Umweltministerium Vorsteher der Abteilung Reaktorsicherheit und Strahlenschutz, ist da von ganz anderem Schrot und Korn. Er bemüht sich ums Grundsätzliche. Der Hanauer Skandal werfe die Frage auf, ob dies nicht „auch in anderen, wesentlich sicherheitsrelevanteren Bereichen möglich“ sei. Damit ist für Hohlefelder „die Frage nach der Verantwortbarkeit der friedlichen Nutzung der Kernenergie insgesamt gestellt“. Aber: „Die Bundesregierung hält diese Verantwortbarkeit nach wie vor für gegeben.“ Hohlefelder wiederholt die hinlänglich be kannten Vorschläge des Töpfer- Ministeriums zur Verbesserung der Atomkontrolle: Minimierung des Atommülls, Konditionierung möglichst dort, wo er entsteht, Anwendung des Verursacherprinzips und erhöhte Anstrengungen bei der Entsorgung, wo man „noch nicht über den Berg“ sei. Einmal löst er sich von seinem Manuskript und bekennt: „Wenn durch die Ereignisse bei Transnuklear das Endlager Konrad ins Gerede käme, würde das ganz erhebliche Auswirkungen auf den Nachweis der Entsorgungsvorsorge haben.“

Ein dramaturgisch gekonnter Einstieg in sein Referat „Die Kernenergie in den Massenmedien oder die Rhetorik der Angst“ gelingt dem Noelle-Neumann- Zögling, Hans Mathias Kepplinger. Kaum jemand im Saal bemerkt, daß Kepplinger anfangs das referiert, was zu widerlegen er angetreten ist. Die öffentliche „Umbewertung“ der Atomenergie sei zurückzuführen auf die „wachsende Einsicht in die Natur des Problems“, auf „ein wachsendes Problembewußtsein“ und spiegele schließlich gar einen „höheren Grad an Demokratie“ wieder. Der Schreck fährt den Zuhörern – und einer Handvoll Zuhörerinnen – sichtbar in die Glieder. Und Kepplingers erste These trägt auch nicht gerade zur Entspannung bei. Die Langzeitanalyse der führenden Tages- und Wochenpresse hat ergeben, daß selbst das Blatt, hinter dem sich immer „ein kluger Kopf“ verbirgt „im Saldo aller wertenden Aussagen“ der Atomenergie negativ gegenübersteht. Doch dann kriegt Kepplinger rasant die Kurve. Die Realität der Atomenergie und ihre Darstellung in den Medien, so seine zentrale Aussage, haben rein gar nichts gemein. Der Chronist vermerkt erleichterten Beifall und Heiterkeit im Saal.

Zum unumstrittenen Höhepunkt in Sachen Selbstvergewisserung wird der Auftritt des „Brüter-Vaters“ und heutigen Chefs der Kernforschungsanlage Jülich, Wolf Häfele, Sektenführer der bundesdeutschen Atomgemeinde. Häfele (Vortragstitel: „Plutoniumwirtschaft: Schlagwort oder Realität“) hält Plutonium „letzten Endes für etwas Natürliches“. Der Stoff ist nach Häfeles Vorstellung fast überall beherrschbar, „der Geist bleibt in der Flasche“. Nur an einem Punkt verfällt er in tiefe Sorge: Bei der direkten Endlagerung. Dort lege man „eine künstliche Plutoniummine an, und zwar für immer“ und handele sich „ein nicht gelöstes Kontrollproblem“ ein. Dieses Problem stelle sich mit Brüter und Wiederaufarbeitung nicht. Folgerichtig sieht Häfele nur drei Optionen zur langfristigen Energiesicherung: Schnelle Brüter, Fusionsreaktoren und die „harte“ Sonnenenergie, wobei selbstredend letztere die weitaus größten ökologischen Probleme aufwirft.

Der Saal ist begeistert, RWE- Vorstand Spalthoff dankt dem Redner für den „großen intellektuellen Genuß“. Schade nur, daß hier „schon alle katholisch sind“. Der Bann scheint gebrochen, der „große Rückschlag, den wir hinnehmen mußten“, fast vergessen – so lange, bis am Nachmittag die Skandalbrüder der Transnuklear selbst die Arena betreten.

Daß die Herren, deren Krawatten dezent das Firmenzeichen ziert, sich ebenso „vorverurteilt“ fühlen wie alle anderen, geht selbst in diesem Katholikenkreis manchem über die Hutschnur. Die Fragen an Transnuklear-Chef Lurf nach Vertragsdetails und Täuschungsmanövern gegenüber AKW-Betreibern sind gereizt, teilweise aggressiv. Kaum jemand nimmt Lurf ab, daß er von allem nichts gewußt hat. Da trifft einen, der sich hat erwischen lassen, der geballte Zorn der Atomgemeinde. Gerd Rosenkranz