Zynismus

■ Das Ende des Vorruhestands

Die Gewerkschaften haben gegen die Nichtverlängerung des Vorruhestandsgesetzes mit Recht protestiert, denn sie liquidiert eine Möglichkeit, Arbeitslosigkeit geringfügig zu vermindern. Dennoch ist der Kabinettsbeschluß auch die Konsequenz eines gewerkschaftlichen Erfolges: Die Strategie der Arbeitszeitverkürzung, also Arbeitsumverteilung, hat sich inzwischen gesellschaftlich durchgesetzt. Daß diese allerdings gewerkschaftlich erkämpft werden muß, wird die anstehende Tarifrunde im öffentlichen Dienst erneut zeigen.

Vorruhestand – das war letztlich eine sozial abgefederte Strategie der sozialen Aussonderung, gerichtet an jene, die vom Arbeitsleben ausgelaugt den Leistungsanforderungen der Arbeitgeber nicht mehr gerecht werden konnten. Das subjektiv nur allzu verständliche Bedürfnis der Einzelnen, sich dem Druck der Leistungskonkurrenz so früh wie möglich zu entziehen, schuf die politische Basis für diese ursprünglich von rechtssozialdemokratischen Gewerkschaftsführern formulierte Strategie. Ihre sozialpolitische Wirkung blieb geringer, als selbst ihre Kritiker vorausgesagt hatten.

Daß die Bonner Regierungspolitiker heute mit Blick auf die leeren Rentenkassen eher an eine Verlängerung des Erwerbslebens denken, läßt den Zynismus von damals noch einmal richtig aufleuchten. 1984 ging es nicht um die Rentner, sondern um den Kampf gegen die streikenden Gewerkschaften. Heute geht es auch nicht um die Rentner oder die Arbeitslosen, sondern allein um die Staatsfinanzen und die ungesicherte Finanzierung einer unsozialen Steuerreform. Martin Kempe