„Dieser Todeszug soll nicht ans Ziel“

Die US-Solidaritätsszene mit Nicaragua wehrt sich gegen die Politik der Reagan-Administration in Zentralamerika / Ein buntes Bündnis von Linken, Gewerkschaft, Kirche und sogar Hollywood organisiert einen phantasievollen Widerstand / Abstruse Klagen gegen Aktivisten sollen die Bewegung demoralisieren  ■ Aus Washington Stefan Schaaf

Es ist ein kalter Donnerstagnachmittag in Washington. Wer kann, beeilt sich, von der Arbeit nach Hause zu kommen. Nur wenigen fällt der junge Mann auf, der am Straßenrand der Connecticut Avenue steht und dem Feierabendverkehr ein Schild entgegenhält: „Hupen Sie gegen Contra-Gelder!“ Höchstens jedes zehnte Auto folgt der Aufforderung, was den jungen Mann jedesmal zu einem freundlichen Winken veranlaßt.

Paul, so heißt der einsame Demonstrant, ist Mitglied des „Pledge of Resistance“, einer der vielen Solidaritätsorganisationen mit Nicaragua, die es in den Vereinigten Staaten gibt. Jeden Donnerstagnachmittag stehen er oder andere Unterstützer des „Pledge“ an dieser Stelle, um gegen die Contras und ihre Unterstützer in den USA zu protestieren. Aus dem zweiten Stock des Hauses werden sie aufmerksam beobachtet; auch jetzt schaut wieder ein Mann aus dem Fenster. Dort hat die Contra ihr Washingtoner Verbindungsbüro. „Wir stehen hier seit Herbst 1986 jeden Donnerstag, manchmal nur zu dritt, bisweilen aber auch mit einem guten Dutzend Leuten“, sagt Paul.

Zwei-Drittel gegen Unterstützung der Contra

Der Krieg der Contras gegen Nicaragua ist nach wie vor – erstaunlicherweise – einer der unpopulärsten Aspekte der Reaganschen Außenpolitik. Zwei Drittel der Bevölkerung haben sich wiederholt in Umfragen gegen die Unterstützung der Antisandinisten aus der US-Staatskasse ausgesprochen – was nicht heißt, daß Daniel Ortega oder Tomas Borge übermäßig beliebt wären. Doch befürchten viele US-Bürger, daß der Konflikt in Zentralamerika letztendlich doch noch zu einem Einsatz von US-Truppen führen wird.

Die Aussicht auf die nächste Abstimmung über Militärhilfe für die Antisandinisten, die am 3. und 4. Februar auf der Tagesordnung des Kongresses steht, hat die Solidaritätsbewegung mit Nicaragua wieder verstärkt aktiv werden lassen. Gelegentlich kommt es zu flüchtigen Diskussionen zwischen den Leuten vom „Pledge of Resistance“ und den Mitarbeitern des Contra-Büros, doch in letzter Zeit sei das Klima etwas unfreundlicher geworden, berichtet Paul. „Vor einigen Wochen hat ein Mann aus dem Büro eine Frau attackiert und ihr den Finger gebrochen. Wir haben Strafanzeige gestellt.“

Die Konsequenzen dieses Zwischenfalls werden kurz darauf sichtbar, als ein Polizeiwagen am Straßenrand hält und ein Beamter aussteigt. Er habe eine Beschwerde bekommen, sagt er, wegen der Anti-Contra-Parolen auf dem Bürgersteig vor dem Hauseingang. Officer Watson warnt, daß weitere Beschwerden zu einem Verbot der donnerstäglichen Mahnwache führen könnten. „Lächerlich“, meint Paul zu dem Beamten, „diese Parolen stehen seit einem Dreivierteljahr dort, es gibt keinen Beweis, daß sie von uns gemalt worden sind. So einfach können sie unser Recht auf freie Meinungsäußerung nicht außer Kraft setzen. Aber ich sage ihnen dennoch, daß es nicht nur Parolen, sondern wohl einige eingeworfene Fensterscheiben in diesem Büro geben wird, falls der Kongreß weitere Contra-Gelder bewilligen sollte. Es gibt eine Menge Leute in dieser Stadt, die ziemliche Wut haben.“

27.000 Unterschriften an einem Tag

„Es wird knapp werden“, meint Bill Spencer von „Days of Decision“, einer landesweiten Graswurzelkampagne gegen Contra- Gelder. Genau lassen sich die Aussichten für das Votum auch zwei Tage vorher noch nicht abschätzen; sowohl die Reagan-Administration als auch die Contra- Gegner kämpfen um die Stimme jedes einzelnen Abgeordneten. Days of Decision arbeitet seit Monaten daran, von den Wahlbezirken der Kongreßmitglieder aus Druck auf die Parlamentarier auszuüben. „Wir haben im September an einem einzigen Tag in New York City 27.000 Unterschriften auf Postkarten gesammelt, die wir dann den Büros der beiden New Yorker Senatoren vorgebracht haben“, nennt Spencer als Beispiel.

„Dies ist die umfassendste Kampagne, die je gegen die Auszahlung von US-Militärhilfe geführt worden ist“, meint Spencer. Vor einigen Tagen verlagerte Days of Decision die Lobby-Kampagne auf den Kapitolshügel und führte in einer Pressekonferenz vor, daß es Contra-GegnerInnen nicht nur unter Linken, sondern genauso in Kirchen, in der jüdischen Gemeinschaft, in den Gewerkschaften und auch im Schowbusiness gibt. Der Schauspieler Martin Sheen, eines der politisch aktivsten und wohl auch radikalsten Mitglieder der Hollywood- Industrie, sagte dort: „Contra- Hilfe ist in Wirklichkeit die Todesstrafe für eine wehrlose und unschuldige Bevölkerung in Nicaragua.“

Wenige Tage später berichteten in Nicaragua tätige Mitglieder kirchlicher Organisationen vor demokratischen Abgeordneten über ihre Erfahrungen mit dem Contra-Terror. Anne ONeill von der „Society of the Sacred Heart“, die in Jalapa im äußersten Norden Nicaraguas beschäftigt ist, sagte, daß die von der Reagan-Administration gemachte Unterscheidung von „miltiärischer“ (3,6 Millionen Dollar) und „humanitärer“ Contra-Hilfe (32.6 Millionen Dollar) ein Unding sei.

Die „Coalition for a new foreign and military policy“, eine Washingtoner Organisation, die sich schon länger auf Lobby-Arbeit verlegt hat, versucht ebenfalls, die Abgeordneten auf dem Capitol Hill selbst zu beeinflussen – durch Informationsmaterial über den Contra-Terror, über den Friedensplan von Guatemala und die Alternativen zur jetzigen US-Zentralamerika-Politik. Bis zur Abstimmung wird sie in der US-Bundeshauptstadt zahlreiche Pressekonferenzen und Veranstaltungen organisieren. Doch die massive politische und finanzielle Unterstützung der Contras durch die Reagan-Administration ist bei weitem nicht der einzige Fokus der Nicaragua-Solidarität in den USA. „Die Anfänge der Bewegung gehen eigentlich bis zur Allende-Ära in Chile und dem Putsch gegen den damaligen demokratischen Präsidenten des Andenstaates zurück. Viele Leute, die in jener Zeit aktiv waren, haben dann 1978 und 1979 die Unterstützungsarbeit für Nicaragua aufgenommen“, sagt Silvia Sherman vom „Nicaragua Network“. „Am Anfang waren das vor allem Bildungsarbeit und direkte Kontakte zwischen unserem Land und Nicaragua. Später haben wir während der Alphabetisierungskampagne Geld gesammelt.“

Die Opposition gegen den Krieg der Contras entwickelte sich eigentlich erst 1982 und 1983, nachdem die Unterstützung der Rebellen durch den US-Geheimdienst CIA bekannt geworden war. Die Bewilligung von 100 Millionen Dollar im Juli 86 hat weitere Leute aktiviert, genauso wie der Iran-Contra-Skandal einige Monate später. „Der Contra-Mord an dem Brigadisten Benjamin Linder im April letzten Jahres hatte auch große Bedeutung für die Mobilisierung. Uns im Nicaragua Network waren die direkten Kontakte aber immer am wichtigsten, sowohl die Brigaden für Ernteeinsätze, Umweltprojekte und den Häuserbau als auch die mehr touristischen Bildungsreisen, die wir organisiert haben“, sagt sie.

Die anderen Zeugen

Das Nicaragua Network hat 1987 etwa 400 US-Amerikaner als Brigadisten nach Nicaragua geschickt, andere Organisationen, etwa „Witness for Peace“ oder „TECNica“, sandten darüber hinaus weitere Freiwillige für Arbeitseinsätze. TECNica vermittelt dabei ausschließlich Personen mit technischen Kenntnissen. Das State Department schätzt, daß etwa 1.500 US-AmerikanerInnen ständig in Nicaragua arbeiten. Seit 1979 haben 80.000 AmerikanerInnen das Land besucht. Viele von ihnen haben sich nach ihrer Rückkehr in eine der vielen hundert Basisgruppen im ganzen Land eingegliedert, die das nicaraguanische Volk auf vielfältigste Weise zu unterstützen versuchen.

Angesichts dieser breitgestreuten Aktivitäten für Nicaragua erscheint es wohl nicht verwunderlich, daß auch das FBI ein Auge auf die Zentralamerikagruppen geworfen hat. Mehr als 100 RückkehrerInnen aus Nicaragua wurden zu „Gesprächen“ vorgeladen. FBI-Spitzel unterwanderten die „Sanctguary“-Bewegung, welche Flüchtlinge aus Zentralamerika durch die USA nach Kanada schmuggelt, forschten Ortsgruppen des „Solidaritätskomitees mit dem Volk von El Salvador“ (CISPES) aus und bespitzelte auch Witness for Peace. Dennis Marker, ein Sprecher von Witness for Peace, sagte zu den FBI-Aktionen gegen seine Organisation, die in der vergangenen Woche bekannt wurden: „Ich denke, daß es unter einer demokratischen Regierung solche Aktivitäten nicht geben dürfte. Ich hoffe, daß sie sofort beendet und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden.“

Im Juni 1985, als der Kongreß 27 Millionen Dollar für die Unterstützung der Contras bewilligte, beschloß eine Solidaritätsorganisation, das „Quixote Center“, die gleiche Summe in Hilfsgütern für das nicaraguanische Volk aufzubringen. Es dauerte nur einige Monate, bis dieses Ziel erreicht wurde. Als im Sommer 1986 gar 100 Millionen für die Contras bereitgestellt wurden, zögerte das Quixote Center nicht lange mit der Ankündigung, auch diese Summe aufbringen zu wollen. Ein Netz von Aktivisten vor allem aus katholischen Basisgruppen organisierte eine landesweite Sammlung von Schulbüchern, Kleidung, Arzneimitteln und Spielzeug, aber auch eher ausgefalleneren Gütern wie Gemüsesamen oder Baseball-Ausrüstungen. „Am 14. November 1987 hatten wir unser Ziel erreicht“, berichtet Dolly Pomerleau, Ko-Direktorin des Centers. „Die Kampagne war phänomenal, denn die Leute konnten sich auf vielfältigste Weise daran beteiligen. Sie konnten Dinge spenden, beim Transport helfen oder ihre Freunde mobilisieren. Wir schätzen, daß etwa 100.000 Menschen in allen fünfzig Bundesstaaten zu diesem Erfolg beigetragen haben.“

Allein im Bundesstaat Maine im äußersten Nordosten der USA wurden an 80 Sammelpunkten zwischen zwanzig und dreißig Tonnen Sachspenden gesammelt, im ganzen Land waren es 150 Container, jeder im Wert von 300.000 Dollar. In die Summe von 100 Millionen ging auch die Arbeitsleistung der Freiwilligen ein, die für einige Wochen oder Monate in Nicaragua tätig waren. „In diesem Jahr wollen wir dagegen zwei Millionen Dollar sammeln, um damit kleine Projekte in Nicaragua zu finanzieren“, sagt Pomerleau, darunter die Wiederansiedlung von ins Land zurückgekehrten und amnestierten Contras oder von Wehrdienstflüchtlingen. „Das klingt, als sei es ein sehr viel einfacheres Ziel, es wird aber fast genauso schwierig sein.“

Die Militärhilfe Dollar für Dollar durch Sachspenden auszugleichen, ist eine Sache, die Verschiffung der Kriegsgüter nach Zentralamerika unmittelbar zu verhindern, ist eine andere. Aktivisten in Kalifornien versuchen schon seit längerem, die Munitionszüge auf ihrem Weg von der Marine-Basis von Concord zum Hafen in der Nähe von San Francisco zu blockieren. Einer der Aktivisten, der Vietnam-Veteran Bryan Wilson, wurde dabei im letzten September von einem der Züge überrollt und verlor beide Beine.

Gezielte Attacke

Wie inzwischen bekannt geworden ist, war dies kein „bedauerlicher Unglücksfall“, sondern eine gezielte Attacke. Der Lokführer des Munitionszuges hatte strikte Anordnung, den Zug außerhalb der Basis nicht anzuhalten, und die Person, die diese Order gab, begründete sie mit den Worten: „Ich will diese Konfrontation, früher oder später kommt sie ohnehin.“ Dies ergibt sich aus Dokumenten, die das „Center for Investigative Reporting“ in San Francisco erhalten hat. „Ich war nicht auf den Schienen, weil ich einen geheimen Todeswunsch habe, oder weil ich besonders mutig bin“, sagte Bryan Wilson, als er im Dezember in Washington sprach. „Ich war auf diesen Schienen, weil ich den Zug stoppen wollte, um damit den Krieg, der in meinem Namen – und letztlich in unser aller Namen – geführt wird, zu stoppen. Meine Menschenwürde und meine Selbstachtung stehen auf dem Spiel. Meine Botschaft sollte sein, daß dieser Todeszug sein Ziel nicht erreichen kann, ohne sich über meinen Körper hinwegzusetzen.“ Natürlich sei er davon ausgegangen, daß man ihn allenfalls festnehmen werde. Die Kampagne des aktiven Widerstandes gegen die Munitionstransporte, die sogenannte „Nuremberg Action“, beruft sich auf die Prinzipien der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse, denen zufolge jeder einzelne für unmenschliche Taten, die mit seinem Wissen verübt werden, verantwortlich ist. Seit dem 1. September, als Bryan Wilson überrollt wurde, werden die Schienen 24 Stunden am Tag von Demonstranten belagert. Seit diesem Tag hat kein Zug die Basis verlassen, ohne daß Demonstranten auf den Gleisen gesessen hätten. Die Züge verlassen das Militärgelände nur noch im Schneckentempo und mit Marines als Begleitung. Die Polizei ist brutaler geworden, wiederholt haben Demonstranten Verletzungen und Armbrüche davongetragen. Bryan Wilson, der inzwischen dank seiner Beinprothesen wieder ziemlich gut laufen kann, wurde obendrein vor kurzem von der Lokbesatzung verklagt, da er durch seine Aktion „willkürlich und fahrlässig emotionalen Druck“ auf das Zugpersonal ausgeübt habe. Wilson ließ sich von derartigen juristischen Ungeheuerlichkeiten nicht beeindrucken. Am 26. Januar begann er zusammen mit 60 Freunden eine Fastenaktion auf den Stufen des Kapitols – wie schon einmal 1986, als er und drei Freunde 42 Tage lang an der gleichen Stelle gehungert hatten.