INTERVIEW
: „Wir wollen den Sturz Ceausescus“

■ Zwei Aktivisten der „Bewegung für ein freies Rumänien“ über ihre Opposition

taz: Seit dem Arbeiteraufstand in Kronstadt (Brasov) hört man auch von einer „Bewegung für ein freies Rumänien“. Was will diese Gruppe erreichen?

Wir sind zwei Vertreter der Bewegung, die in die Illegalität gedrängt wurden. Unser Ziel ist der Sturz von Staats- und Parteichef Nicolae Ceausescu, ein Potentat, der jeden Kontakt zum Volk verloren hat mit einem in der modernen Politik beispiellosen Verlust jeglichen Wirklichkeitsbezuges.

Ihr versteht euch also als Befreiungsbewegung, wie man sie aus asiatischen und afrikanischen Staaten kennt?

(Lachen) Nein, wir rufen nicht zum bewaffneten Kampf auf, wir wünschen nicht mehr und nicht weniger als Reformen wie im benachbarten Ungarn und Glasnost wie in der Sowjetunion. Nur: in einem Land, in dem der Stalinismus noch immer allgegenwärtig ist, in dem noch immer Menschen über Nacht verhaftet werden und wegen kritischer Äußerungen spurlos verschwinden, ist dieser Kampf kaum anders als aus der Illegalität zu führen. Selbst als Politbüromitglied kann man nicht die leiseste Kritik z.B. am Wirtschaftskurs anbringen – Ceausescu erlaubt keinerlei Widerrede. Damit sich hier überhaupt etwas bewegen kann, muß der Conducatore, der „Führer“, wie er sich gerne nennen läßt, mit seiner gesamten Familiendynastie entmachtet werden.

Und wie wollt ihr das erreichen?

Durch weltweite Isolierung des Regimes. Wir bitten alle Menschen, ob sie in der Sowjetunion, der DDR, Schweiz oder der Bundesrepublik leben, boykottiert rumänische Lebensmittel, denn bei uns leiden die Menschen an Hunger. Wir rufen unsere Landsleute dazu auf, zivilen Ungehorsam zu üben, z.B. täglich um 22 Uhr das Licht für 3 Minuten abzuschalten. Wir unterstützen friedliche Demonstrationen. Wir verurteilen dagegen Geschäftsplünderungen wie bei den Kronstadtunruhen, denn damit bringen wir die Sicherheitsorgane nur gegen uns auf. Aber das Wichtigste ist, Ceausescu von seiner stärksten innenpolitischen Stütze, der allgegenwärtigen Geheimpolizei, zu isolieren. Ein König ohne Diener ist ein toter König.

Wie schätzt ihr euren Erfolg ein?

Wir verstehen uns als politische Alternative in der totalitären politischen Landschaft Rumäniens und wir werden, so glauben wir, als Gefahr, aber auch als Gesprächspartner ernstgenommen. Während die Ceausescu-Schergen uns steckbrieflich suchen, empfing man uns kürzlich recht herzlich in der sowjetischen Botschaft in Ungarn, als wir dort einige unserer Flugschriften vorbeibrachten. Die russischen Genossen zeigten Verständnis für unsere Unzufriedenheit mit den Zuständen in unserem Land. Sie beteuerten jedoch, nicht intervenieren zu wollen, es sei Aufgabe aller Rumänen, die eigene Krise zu lösen. In Bukarest kommst du an die diplomatische Vertretung des großen Bruders gar nicht ran, die ist hermetischer abgeriegelt als die ständige Vertretung der Bundesrepublik in Ost- Berlin. Die gesamte Straße ist für Fußgänger gesperrt – wir erinnern uns, als Gorbatschow an die Macht kam, belagerten unzählige Menschen die Botschaft, übergaben oder warfen Briefe über die Mauer, in denen die Wut über unser Regime zum Ausdruck gebracht wurde.

An was zeigt sich die Verbitterung der Rumänen?

Es ist nicht allein die Armut, nicht allein die Repression, auch nicht der allgegenwärtige Personenkult. Erst alles zusammen macht das Leben zur Hölle. Es ist schon grausam genug, zum vierten Mal einen Winter bei 12 Grad Celsius ausharren zu müssen. Unmenschlich wird das Dekret aber dann, wenn alte Menschen beim „überheizen“ der Wohnung erwischt werden und ihnen zur Strafe für einen Monat Gas und Strom ganz abgeschaltet wird. Ein anderes Beispiel: Man kann sich darüber ärgern, daß es seit Jahrzehnten keine Präservative zu kaufen gibt, man kann es vielleicht noch „ertragen“, daß Ceausescu dem Wahn anhängt, „ein Haus ohne Kinder ist wie ein Garten ohne Blumen“ und von seinen weiblichen Untertanen drei Kinder wünscht. Es wird jedoch frauenfeindlich und pervers, wenn sich deshalb jede Frau in gebärfähigem Alter einmal im Monat einer gynäkologischen Zwangsbehandlung unterziehen muß, um Abtreibungen zu verhindern. Auf die stehen bis zu 25 Jahre Haft bei gleichzeitigem Verbot jeglicher Art von Verhütungsmitteln, erleb einmal an der eigenen Haut solche Unmenschlichkeit, eines Tages drehst du einfach durch. Das Gespräch führte Roland Hofwiler