Sowjet-Regierung zieht Monopoly-Geld aus dem Verkehr

Ankündigung der kleinen „Währungsreform“ verbreitete sich wie ein Lauffeuer / „Radikale“ Maßnahmen gegen Spekulanten / Gegen Privilegierte nur Schattenboxen  ■ Aus Moskau Alice Meyer

Geldähnliche Bezugsscheine, mit denen Sowjetbürger in „Berjoska“-Spezialläden an knappe, begehrte Konsumartikel herankommen – die der sowjetische Otto- Normal-Verbraucher in den üblichen Einzelhandelsgeschäften fast nirgendwo zu sehen bekommt, geschweige denn gegen Rubel kaufen kann –, soll es nicht mehr geben. So entschied der Ministerrat der UdSSR in einem Erlaß „über Maßnahmen zur radikalen Vervollkommnung des Warenverkaufssystems auf der Linie des Außenhandelsunternehmens Wneschpossyltorg“. Was ist der Hintergrund, was der Anlaß dieser Maßnahme?

Sowjetbürger, die auf legalem Weg in den Besitz von frei konvertiblen Valuta (Dollar, D-Mark usw.) gekommen sind – zum Beispiel durch Arbeitstätigkeit im Ausland, durch Auftritte als Künstler auf internationalen Tourneen, durch Erbschaften oder Schenkungen des „reichen Onkels in Amerika“ –, können diese harten Devisen in sogenannte „Schecks“ (Tscheki) der Organisation Wneschpossyltorg umtauschen, diese Papierchen wiederrum (ihr Nennwert lautet auf einen bestimmten Rubel-Betrag) sind zugleich Eintrittskarte und Warengutschein für bestimmte „Berjoska“-Läden. Nicht für die, in denen der West- Tourist seine „Matrjoschka“- Holzmütterchen kaufen kann, sondern für die, deren Sortiment aus französischen Parfumes und Cremes, italienischen Waschmaschinen, westdeutschen Haushaltsmaschinen, japanischen Fernseh- und Videogeräten sowie sowjetischen Autos besteht – aber auch aus tausenderlei kleinen Dingen, die in der UdSSR nicht oder nur unter großen Schwierigkeiten zu beschaffen sind.

Diese Geschäfte (auf gut russisch: „Spezial-Magazine“) sind für Sowjetbürger mit leichtem Zugang zu den „Tscheki“ ein Segen, für andere – Valuta-Habenichtse und Einkommensschwache – ein Ärgernis. Nun haben sich auch Politiker und Publizisten, vor allem solche, die um die Außenwirkung der Sowjetunion als Stammland des realen Sozialismus besorgt sind, des Themas angenommen.

Im Mittelpunkt der Kritik steht die Spekulation mit dem Monopoly-Geldzeichen. Der offizielle Umrechnungskurs von eins zu eins ist Fiktion gegen die harten Fakten des Schwarzmarkts: Ein „Tschek“ kostet je nach aktueller Angebots-Nachfrage-Konstellation zwei bis drei Rubel. Wer liquide ist und nicht stundenlang nach Schuhen aus Kornwestheim anstehen oder jahrelang auf den neuen „Shigul“- oder „Sputnik“- PKW aus Togliattigrad warten will, schafft sich „Tscheki“ an. Das ist zwar offziell „Mißbrauch“ des Monopoly-Geldes und widerspricht damit den Spielregeln – man/frau ist zu solchen Einkäufen nicht „berechtigt“ –, aber verhältnismäßig ungefährlich.

Die „Berjoska“-Läden (zehn an der Zahl in Moskau, eine „Dunkelziffer“ in der sowjetischen Provinz) ziehen die Spekulanten an, die Monopoly-Geld an- und verkaufen. Die „Gauner und Schieber“ tun das ungeniert vor den Eingangstüren der Spezialgeschäfte – allenfalls mit gelegentlichem scheuen Seitenblick auf den Milizionär in der Nähe – oder sogar in den Läden selbst. Bei einem dieser verhinderten Devisenhändler fand die Moskauer Polizei zu Hause 61.000 Rubel in bar, 11.000 in „Tscheki“ und 33.000 in Wertgegenständen. In Moskau und Leningrad gibt es mafia-ähnlich organisierte Ringe von Spekulanten, die pro Kopf und Monat im Schnitt fünf- bis zehntausend Rubel allein durch „Tscheki“- Transaktionen verdienen (monatliches Durchschnittseinkommen eines Sowjetbürgers: 200 Rubel).

Was sehen nun die Regierungsmaßnahmen gegen diese „negativen Erscheinungen“ vor? Am 1.Juli 1988 hört der Umtausch von ausländischen Valuta gegen „Tscheki“ von Wneschpossyltorg auf. Gegen diese Geldzeichen wird dann auch nichts mehr in den „Berjoska“-Läden verkauft. „Tscheki“, die bis zum 1.Juli nicht verbraucht sind, können bei der Staatsbank oder bei Sparkassen bis Jahresende zum offiziellen Umrechnungskurs von eins zu eins gegen Rubel umgetauscht werden.

Diese Ankündigung führte inzwischen zu einem Run von „Tscheki“-besitzenden Sowjetbürgern auf „Berjoska“-Geschäfte. Wahllos wird das zusammengekauft, was noch auf den Regalen vorhanden ist. Ein klares Rechenexempel: lieber nicht selbst benötigte, aber hoch defizitäre Ware hamstern und zu günstigen Preisen weiterverhökern, als das Monopoly-Geld zum offziellen Kurs an die Staatsbank verramschen.

Die Einfahrt zum „Berjoska“- Laden im Astrachanskij Pereulok, wo zum Beispiel „Sony“- und „Panasonic“-Unterhaltungselektronik im Angebot ist, mußte von der Verkehrspolizei abgesperrt und mit Metallgittern verbarrikadiert werden. Tagelang sah das Einkaufsregime so aus: Morgens, noch bei Dunkelheit und grimmiger Kälte, versammelten sich die Kaufwilligen. Jeder trug seinen Namen und seine Warteschlangen-Nummer in eine lange Liste ein. Bei Öffnung des Geschäfts waren es schon vierstellige Ziffern...

Den Spekulanten soll mit der Abschaffung der „Tscheki“ das Handwerk gelegt werden. Die Vorrechte der Privilegierten werden aber nicht angetastet. Sowjetbürger mit Einkommen oder Guthaben in Westwährungen können weiter den Glitzerkram erwerben, die „Berjoska“-Läden bleiben zumindest teilweise erhalten. Geändert wird nur die Zahlungsabwicklung. Im Erlaß heißt es dazu ganz offen: „Zum Zwecke größtmöglicher Bequemlichkeit für die Kunden und zur Verhütung von Mißbräuchen wird in den Berjoska-Läden der bargeldlose Zahlungsverkehr eingeführt.“

Sowjetbürger mit legalem Zugang zu Hartwährungsdevisen können bei der Außenwirtschaftsbank ein Valuta-Konto eröffnen. Nur solche Konto-Inhaber, die sich entsprechend ausweisen, haben dann noch Zutritt zu den „Spezial-Magazinen“. Und wer von diesen Privilegierten den Erwerb von sowjetischen Rubeln vorzieht, soll durch ein ganz neues Anreizmittel von Spekulanten ferngehalten werden: die Bank räumt ihm einen Vorzugs-Umrechnungskurs ein...

„Tolko dlja bjelych – whites only“ – mit diesem Spruch waren einmal über Nacht von unbekannt die Schaufenster eines Geschäfts der „Berjoska“-Ladenkette beschriftet worden. Der Ministerratserlaß bietet nicht die Gewähr dafür, daß die Graffitis nicht eines Tages oder nachts erneut mobil machen.

Die Monopoly-Geldscheine für ausländische, in Moskau akkreditierte Diplomaten werden übrigens nicht abgeschafft. Und noch eine Merkwürdigkeit am Rande: das „Tscheki“-Außenhandelsunternehmen Wneschpossyltorg hat sich in Moskau ausgerechnet in einer Straße niedergelassen, deren Name von Kennern mit der klassenlosen Gesellschaft der Zukunft in Verbindung gebracht wird: in der „Marksistskaja Uliza“, der marxistischen Straße also.