INTERVIEW
: „Fast alle philippinischen Landarbeiter werden wieder leer ausgehen“

■ Bonifacio Gillego, Vorsitzender des Komitees für Landreform im philippinischen Kongreß, zum bisherigen Ergebnis der Umverteilung des landwirtschaftlich nutzbaren Bodens

Die Landreform, die die philippinische Präsidentin Corazon Aquino dem Land Anfang 1986 versprach, läßt auf sich warten. Zwar ist eine „gerechte Verteilung des landwirtschaftlich genutzten Bodens“ in der neuen Verfassung festgeschrieben, doch ist bisher alles beim Alten geblieben. Aquino schob das Problem auf Bonifacio Gillego ab, einen ehemaligen Mitarbeiter des philippinischen Geheimdienstes, der inzwischen jedoch „im Marxismus ein wichtiges Werkzeug zur sozialen Analyse der Gesellschaft“ erkennt. Der 56jährige ist heute Vorsitzender des Komitees für Landreform im philippinischen Kongreß. Seine Gesetzesinitiative, die den Landbesitzern überhaupt keinen Grundbesitz mehr zugestehen wollte, kommt im Kongreß nicht durch. Auch andere Vorschläge zugunsten der Landarbeiter werden immer mehr verwässert.

taz: Als Präsidentin Aquino die wesentlichen Entscheidungen über die philippinische Landreform dem Kongreß überließ, setzte sie eine Frist von 90 Tagen. Diese Frist war schon Anfang November abgelaufen. Nichts ist bis heute im Kongreß entschieden. Warum nicht?

Gillego: Der Kongreß fühlte sich von Anfang an nicht an diese Frist gebunden. Und von Anfang an gab es auch eine Verzögerungstaktik der konservativen Kongreß-Mehrheit. Der Ausgangspunkt unseres Gesetzentwurfes vom fortschrittlichen, nationalen Block war: Die Landbesitzer sollten überhaupt keinen Grundbesitz behalten dürfen. Alles Land sollte an die verteilt werden, die es bebauen. Dieser Vorschlag für eine wirkliche Landreform provozierte natürlich die Reaktion der Großgrundbesitzer, deren Vertreter die Mehrheit im Kongreß stellen. Die wollten zunächst überhaupt keine Ober grenze für Landbesitz akzeptieren. Später schlugen sie 100 Hektar vor, dann 24 Hektar. Mit ihrer Mehrheit im Kongreß setzten die Landbesitzer inzwischen durch, daß nicht nur jeder von ihnen sieben Hektar behalten darf, sondern auch noch einmal sieben Hektar für die Erben. Damit ist die Obergrenze schon bei 14 Hektar angelangt, und etwa 60 Prozent der Landarbeiter, die von einer echten Landreform profitiert hätten, werden wieder leer ausgehen.

Wie sieht die Lobby-Arbeit der Landbesitzer aus?

Die Großgrundbesitzer waren von Anfang an äußerst gut organisiert. Die Lobbyisten sind bei jedem öffentlichen Hearing zum Thema dabei, sie sind täglich im Kongreß. Landreform ist für sie „Teil der kommunistischen Machtübernahme“ auf den Philippinen. Deshalb bekommen sie auch Unterstützung von Antikommunisten aus dem Ausland. Die Gegenseite hat es da wesentlich schwerer: Der Brief des Führers einer Bauernorganisation an den Kongreß, in dem er eine Bodenreform verlangt, durfte aufgrund des Einwandes eines Abgeordneten – ein Landbesitzer – nicht verteilt werden. So wie es zur Zeit aussieht, wird es in den nächsten Monaten keine Landreform auf den Philippinen geben. In der Diskussion haben sich schon über 60 Kongreßabgeordnete mit Änderungsvorschlägen zu Wort gemeldet. Außerdem haben die Großgrundbesitzer, allen voran die Zuckerrohrplantagenbesitzer von Negros, über ihre Kongreßabgeordneten auch einen eigenen Gesetzentwurf vorgelegt. Wenn diese Beratungen im Kongreß abgeschlossen sind, folgt noch die Abstimmung mit dem Senat. Dort werden zwei weitere Gesetzentwürfe diskutiert.

Wenn Aquino eine Landreform gewollt hätte, hätte sie dann nicht ihre gesetzgeberische Macht nutzen und im Zweifelsfall auch die vielgerühmte „Peoples Power“ zur Durchsetzung der Bodenreform mobilisieren müssen?

Aquino hätte tatsächlich von vorneherein eine umfassende Landreform erlassen können, aber sie stand unter extremem Druck der Landbesitzer. Und die „Peoples Power“ aus der sogenannten Revolution, die Diktator Marcos vertrieb, läßt sich nicht kurzfristig für die Landreform mobilisieren. Die „Peoples Power“ war eine eher spontane Bewegung, zu der Militärs, Kirchenvertreter, Leute der Mittelklasse gehörten. Die Landreform wird dagegen klar entlang der Klassenlinien entschieden. Großgrundbesitzer und Landarbeiter stehen sich frontal gegenüber. Und da einerseits die Landarbeiter immer besser organisiert sind und zu immer militanteren Aktionsformen greifen, andererseits die Großgrundbesitzer nur panisch reagieren und ihre eigenen privaten Armeen bilden, wird das Ergebnis so sein, wie es sich auch in anderen Ländern zeigt: Was in Kuba und Nicaragua passiert ist, wird auch auf den Philippinen passieren.

Das heißt doch, daß die Landbevölkerung vom neugewählten Parlament auf den Philippinen nichts zu erwarten hat?

Der Kongreß wird von Großgrundbesitzern dominiert. Wahlen auf den Philippinen sind nach wie vor nur vordergründig demokratisch. Jeder darf zwar frei wählen, aber die Kandidaten, die bei Wahlen antreten, sind fast alle Vertreter der herrschenden Klasse. Und da die Philippinen primär ein Agrarland sind, ist auch die Hauptquelle für Wohlstand und Macht der Landbesitz. Politische Macht war auf den Philippinen immer mit Landbesitz verknüpft. Das beweisen auch alle Statistiken: 20 Prozent der Bevölkerung kontrollieren 80 Prozent des Landes. Unsere Verfassung verspricht zwar Landreform, schützt aber vor allem das Privateigentum und die gegenwärtige soziale Ordnung.

Müssen die Landlosen und Bauernorganisationen andere, außerparlamentarische Mittel finden, um ihre Forderungen durchzusetzen?

Das ist unvermeidlich. Inzwischen gibt es ja militante Organisationen der Arbeiter und Bauern, die auch schon Ländereien besetzen, die Großgrundbesitzer brachliegen lassen.

Gegen diese Organisationen der Bauern wüten die Todesschwadronen der Landbesitzer, die Vigilantes und Alsa-Masa-Gruppen, die vom Militär und der Polizei unterstützt werden. Und auch Präsidentin Aquino hat diesen paramilitärischen Trupps inzwischen ihren Segen erteilt...

Ich bin völlig gegen die Bewaffnung dieser Privatarmeen, Bürgerwehren und Vigilantes.

Ist es vor diesem Hintergrund aber nicht verständlich, daß sich Landarbeiter der Guerillabwegung, der New Peoples Army, anschließen, statt sich einfach wehrlos abschlachten zu lassen?

In dieser Situation sind Gewalt und Waffen als letztes Mittel im Lichte der objektiven Bedingungen vielleicht zu rechtfertigen. Denn die Landbesitzer selbst drohen ja mit ihren privaten Armeen. Deshalb kann ich verstehen, was die Bauern tun. Es ist einfach eine Frage des Überlebens und der Selbstverteidigung. Das Gespräch führte Karl Rössel