Die DDR verstößt ihre Kritiker

Stephan Krawczyk, Freya Klier und Bert Schlegel aus der DDR ausgebürgert / DDR-Medien machten Druck auf Kritiker /Ost-Berliner Anwalt Vogel erklärt, daß auch alle anderen Inhaftierten freigelassen werden / Parteien im Bundestag begrüßen „Bewegung in der DDR“  ■ Von Stefan Schönert

Berlin (taz) – Völlig überraschend sind gestern nachmittag der Ost-Berliner Liedermacher Stephan Krawczyk und seine Frau, die Regisseurin Freya Klier aus der Haft entlassen worden und in die Bundesrepublik ausgereist. Neben dem Mitarbeiter der Ost- Berliner Umweltbibliothek Bert Schlegel, der bis gestern ebenfalls im Gefängnis gesessen hatte, kam auch Nadia, die Tochter Krawczyks, in der Bundesrepublik an. Das Künstlerehepaar und Schlegel sollen sich bei Freunden in Bethel aufhalten.

Die Amtliche DDR Nachrichtenagentur erklärte dazu, die Ausreise sei „entsprechend ihrem Antrag und unter Beachtung der erforderlichen gesetzlichen Bestimmungen erfolgt“. Die angeblich freiwillige Ausreise von Krawczyk und Klier steht im offenen Widerspruch zu Äußerungen, die sie noch vor kurzem in einem gemeinsamen Positionspapier formuliert hatten: „Wenn wir uns also entschlossen haben zu bleiben, so geschieht das nicht aus einem Hang zum Märtyrertum, sondern aus der tiefen und wichtigen Erfahrung des Gebrauchtwerdens.“ Den DDR-kritischen Künstlern war „Landesverrat“ und „Kontakt mit geheimdienstlichen Kreisen“ in West-Berlin vorgeworfen worden. Schlegel hatte im Gegensatz zu dem Künstlerehepaar schon vor seiner Festnahme einen Ausreiseantrag gestellt.

Am Dienstag erklärte der Ost- Berliner Rechtsanwalt Vogel, noch in dieser Woche würden „alle Inhaftierten im Zusammenhang mit der Luxemburg/Liebknecht- Demonstration vom 17. Januar freigelassen werden.Ihnen werde entweder die Möglichkeit gegeben, in die BRD auszureisen oder in der DDR zu bleiben , wenn sie es wünschten“. Diese liberale Handhabung des Problems stieß angesichts scharfer Angriffe von ADN und „Neues Deutschland“ auf Friedens- und Umweltgruppen in den letzten Tagen bei den Regimekritikern auf Verwunderung. Das „Neue Deutschland“ hatte dem „Volkszorn“ auf die insgesamt 2O Gefangenen auf einer Leserbriefseite freien Lauf gelassen und die Inhaftierten als „kleine Gruppe bestellter Provokateure“ bezeichnet.

DDR- Oppositionelle, wie der Ost-Berliner Schriftsteller Lutz Rathenow, halten es für möglich, daß sich die Alternative BRD – DDR für die Inhaftierten nie real gestellt habe, sondern nur die Möglichkeit „Westen oder Knast“.

Nach Informationen der taz hat am Montag morgen das „Büro Honecker“ die Angelegenheit unter seine Obhut genommen und damit die Seilschaft der Staatssicherheit, die bisher mit den Verhandlungen um die Inhaftierten beschäftigt war, abgelöst.

Bereits am Montag abend hatte der Ost- Berliner Bischof Gottfried Forck die Erlaubnis erhalten, mit den nun ausgereisten Inhaftierten im Gefängnis zu sprechen. Die DDR- Opposition wertete letzteres zunächst als eine deutlich positive Veränderung der Atmosphäre.

Der Ausreise der DDR-Oppositionellen gingen Kontakte zwischen dem Bonner Staatssekretär Hans Rehlinger und dem Ost-Ber liner Rechtsanwalt Vogel vorraus, die zum Ziel hatten, „die humanitären Probleme zu lösen“.

Die Parteien in Bonn haben die Ankündigung aus Ost-Berlin begrüßt, die DDR-Kritiker freizulassen.

Die SPD-Bundestagsfraktion begrüßte nach Angaben ihres Obmanns im innerdeutschen Ausschuß, Hans Büchler, am Dienstag, daß sich offensichtlich die be sonnenen Kräfte in der DDR-Führung durchgesetzt hätten.

Die SPD hoffe, daß die SED in Zukunft mehr Diskussionen in der DDR zulassen werde und „Diskussionsbeiträge nicht gleich als Angriff auf ihre Existenz versteht, sondern einsieht, daß das offene Gespräch für die Weiterentwicklung einer Gesellschaft unverzichtbar ist wie die Luft zum Atmen“, sagte Büchler.

Der deutschlandpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Eduard Lintner (CSU), nannte die jüngste Entwicklung in der DDR einen „ersten Lichtblick“. Es bleibe freilich die „bange Frage“, ob die DDR-Führung damit auch signalisieren wolle, daß sie von der rüden Art und Weise, mit der sie Kritiker von Mißständen in der letzten Zeit behandelt habe, in Zukunft Abstand nehmen werde.