Neue Deutsche Verschwörungstheorie

■ Für das Zentralorgan der SED sind die „Drahtzieher von drüben“ noch immer die bequemste Erklärung / Proteste vom Geheimdienst gesteuert

Die These ist bekannt und erschreckend genug: Westdeutsche Journalisten geben sich dazu her, mit dem „Verfassungsschutz“ zusammenzuarbeiten und Informationen zu verkaufen. Das Zentralorgan der SED, Neues Deutschland bezieht sich in einem Kommentar auf Angaben eines ehemaligen Amtsinspektors des bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz, den im vergangenen Jahr in die DDR „übergetretenen“ Hans-Joachim Adam und auf das Buch des Journalisten Manfred Bissinger „Unheimlich zu Diensten“.

Diesen Angaben zufolge würden „bekannte Journalisten der FAZ, der Süddeutschen Zeitung und der Welt in der BND-Zentrale in Pullach ein und ausgehen“. Diesen bedrückenden Tatbestand nimmt das ND in seiner Mittwochausgabe jedoch zum Anlaß, seine gegenüber Roland Jahn und Jürgen Fuchs schon vorgebrachten Agententheorien zu wiederholen. Umstandslos werden derartige Praktiken mit den politischen, journalistischen und schriftstellerischen Tätigkeiten der beiden aus der DDR Ausgebürgerten in Verbindung gebracht.

„Mit dem Ziel“, heißt es da, „eine innere DDR- Opposition zu schaffen, sind auch einige von den BRD-Geheimdiensten bestellte und bestallte Journ und andere antisozialistischen Kräfte mißbrauchten dabei bewußt die akkreditierten westlichen Journalisten in der DDR. So ist es nicht erst seit heute bekannt, von wem Verbindung zwischen solchen Organisationen antisozialistischer Handlungen wie den geheimdienstlich gesteuerten Jahn, Faust, Fuchs u.a. und Vertretern der sogenannten DDR-Opposition gehalten wird. Es ist auch kein Zufall, wenn manche westliche Journalisten rechtzeitig wissen, wo etwas passieren soll, und immer dann zur Stelle sind, wenn bestimmte Kräfte in der DDR irgendwelche Provokationen zu starten versuchen“, wundert sich der Kommentator, um dann unverholen dazu aufzufordern, die journalistischen Möglichkeiten zu begrenzen. Im Sinne von „Dialog und Verständigung“, versteht sich.

Wie die letzten Wochen beweisen, sind ja gerade in bezug auf die Dialogbereitschaft die SED-Oberen nicht zu übertreffen. Verschwörungstheorien herunterzuleiern soll der Kitt sein, mit dem die eigene Gesellschaft zusammenzuhalten ist. Dabei ist dann auch jedes Mittel recht. Die am Dienstag veröffentlichte Behauptung, daß die „Überfälle faschistischer Rowdies“ vor und in der Zionskirche von West-Berlin aus gesteuert seien, reiht sich in den Argumentationszusammenhang nahtlos ein. Vergessen wird nur, daß die Opfer dieser Skinheads die Mitglieder der Umwelt-, Friedens- und Menschenrechtsgruppen waren. Und verschwiegen wird, daß der Terror solcher Gruppen gegenüber Szenetreffpunkten in Ost-Berlin von der Volkspolizei sehr nachsichtig behandelt wurde. Erich Rathfelder