: Ein falscher Weg zum richtigen Ziel
Hackethals Sterbehilfekampagne erinnert an Entwicklungen in der Weimarer Republik / Kritik linker Ärzte an Standesgerichtsverfahren: Unliebsamer Kritiker soll mundtot gemacht werden / Die Ärztekammern gehen nicht gegen alle Sterbehilfe-Befürworter vor ■ Von Oliver Tolmein
„Der Erlösungstod aus unendlicher Krankheitsfolter ist für den gequälten Patienten Himmelfahrt.“ Und den Begriff „gequälte Patienten“ hat Professor Julius Hackethal schon immer sehr weit gefaßt. Daß „ausgerechnet Schwerstbehinderte“ auf dem Gesundheitstag 1987 in Kassel gegen seine „Euthanasiekampagne“ angingen, vermochte der umstrittene Mediziner nicht zu verstehen. Gerade für sie wolle er doch „nur das Beste“. Auch AIDS-Kranke sollten seiner Meinung nach zur Sterbehilfe freigegeben werden. Hackethals ständiges Sprachrohr ist nicht zufällig die Bild-Zeitung, die ihm auch nach dem Standesgerichts-Urteil zur Seite steht: „Seine Gegner freuen sich. Seine Patienten weinen.“ Aber so einfach verlaufen die Fronten im Fall Hackethal nicht: Der erzkonservative Präsident der Bayerischen Ärztekammer, Hans-Joachim Sewering, ist einer der hartnäckigsten Hackethal-Gegner. Der die aktive Sterbehilfe befürwortende Präsident der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben, Atrott, hat das Urteil gegen Hackethal begrüßt. Der Vorsitzende des linken „Vereins Demokratischer Ärztinnen und Ärzte“, Winfried Beck, hat dagegen massive Bedenken gegen den Approbationsentzug geäußert.
Die Kritik des Frankfurter Orthopäden an dem Urteil wiegt schwer: die Ärztekammer hätte Hackethals Euthanasieaktionen nur benutzt, um einen unliebsamen Kritiker endlich mundtot zu machen. Beck spricht aus Erfahrung: Ein wesentlicher Vorwurf in dem bayerischen Standesgericht- Verfahren, „herabsetzende Äußerungen über Kollegen“, ist auch gegen ihn in Zusammenhang mit seinem Engagement für die Abschaffung des §218 erhoben worden. „Dieser Vorwurf der herabsetzenden Äußerungen ist beliebig anwendbar“, kritisiert Beck, der sich auch erheblich daran stört, daß es ein Standesgericht ist, das über Hackethal geurteilt hat: „Eine standesmäßige Sondergerichtsbarkeit sollte es in einer demokratischen, offenen Gesellschaft nicht geben.“ Das Engagement der Ärztekammern gegen die „Euthanasie“ ist tatsächlich bedenklich selektiv: So stark die Worte sind, die zu Hackethal fallen, so schweigsam bleiben die Mediziner in anderen Fällen. Als der 47jährige Frauenarzt Willi A. in München 1982 wegen Tötung eines angeblich behinderten Kindes nur zu zweieinhalb Jahren Haft auf Bewährung verurteilt wurde, seine Approbation aber behalten durfte, brach kein Sturm der Entrüstung in der Bayerischen Ärztekammer los. Auch Ärzte, die im Nationalsozialismus an der Massenvernichtung Behinderter, Juden und ausländischer Zwangsarbeiter beteiligt waren, konnten im Nachfolgestaat BRD weiterpraktizieren, ohne daß sie Standesgerichtsverfahren oder Approbationsentzug befürchten mußten. Auch die Vorstellungen der Bundesärztekammer zu Sterilisationen zeigen, daß die deutschen Ärzte überwiegend nichts aus der Geschichte gelernt haben: die Zwangssterilisation „Einsichtsunfähiger“ wird in bestimmten Fällen durchaus für sinnvoll gehalten. Deswegen beurteilt auch Udo Sierck vom „Bundesweiten Forum der Behinderten- und Krüppelinitiativen“, der den Boykott des Gesundheitstages wegen der Einladung Hackethals mitorganisiert hatte, das Urteil sehr skeptisch: „Hackethal wird fallengelassen, weil er sich zu weit vorgewagt hat und zu angreifbar geworden ist. Die gefährlichen Bestrebungen, die Sterbehilfe zu legalisieren und in der Praxis durchzusetzen, werden davon nicht tangiert.“ Der Kritiker der „Halbgötter in Weiß“ hat sich über die Jahre selbst zu einem „Halbgott“ entwickelt: Die immensen Honorare, die er in seiner Eubios-Klinik den sich an eine letzte Hoffnung klammernden Schwerkranken abknöpft, sind mit dem selbstgegebenen Image von „Hackethal als bestem Freund der Patienten“ kaum zu vereinbaren. Seit der Verabreichung von Zyankali an seine krebskranke Patientin K. und der Versendung von Zyankali an einen ihm persönlich unbekannten Kranken ist die Befürwortung der Sterbehilfe ins Zentrum von Hackethals Medienwirken getreten. Der Arzt, dessen Äußerungen bis Ende der siebziger Jahre zumindest teilweise zur Entmythologisierung des Medizinbetriebes in der BRD beigetragen haben, hat auf diesem Gebiet aber durch die Herausstellung von Einzelfällen eine Emotionalisierung der Debatte betrieben, die fatal an die Entwicklung in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus erinnert: Auch dort wurde in Filmen und in Büchern das Leiden einzelner benutzt, um das Leben Schwerstkranker und Behinderter grundsätzlich als nicht lebenswert erscheinen zu lassen. Ein Satz aus der Begründung des insgesamt sehr problematischen Urteils ist deswegen auf jeden Fall von zentraler Bedeutung: „Es muß verhindert werden, daß in der Bevölkerung (durch Sterbehilfeaktionen, wie Hackethal sie durchführt) der Eindruck entsteht, unheilbar Kranke sollten Sterbehilfe annehmen.“
nd Krüppelinitiativen“, der den Boykott des Gesundheitstages wegen der Einladung Hackethals mitorganisiert hatte,
über Hackethal geurteilt hat: „Eine standesmäßige So
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen