Aus München Andreas Zumach

Ratlose Meister der Abschreckung Wehrkundetagung in München / 182 Teilnehmer und zwei Frauen aus fast allen NATO-Ländern stritten über Modernisierung der atomaren Kurzstreckenraketen / Bundeskanzler Kohl kuschte vor dem großen Bruder / Nuklearwaffen als „politische Waffen“ unabdingbar

Aus München Andreas Zumach

Zum „Tanz auf dem Vulkan“ lud ein buntes Schild in den girlandengeschmückten Festsaal. Im zweiten Stock des Hotels Bayrischer Hof hielt das Faschings-Prinzenpaar hof. Doch die vielen Uniformen, Orden und Maschinenpistolen in und um Münchens Prunkhotel waren echt. Der Aufmarsch der grünberockten Schützengarde galt dem Schutze der NATO-Rüster, die um die Modernisierung der atomaren Kurzstreckenrake ten stritten. Unter dem Motto: „Die amerikanisch-russischen Abrüstungsverhandlungen und die Folgen“ diskutierten am Wochenende auf der diesjährigen Wehrkundetagung 182 Männer und zwei Frauen aus fast allen NATO-Staaten über die zukünftigen Rüstungsschritte der Allianz. Deutlich zutage traten dabei die immer größer werdenden Interessensgegensätze.

Gleich zu Beginn stimmte Egon Bahr, SPD, der Eingangsrede Helmut Kohls „im Großen und Ganzen zu“.Der Kanzler hatte „für einen fairen, nicht nur taktisch bedingten Interessensausgleich zwischen West und Ost“ plädiert, da „eine langfristige und tragfähige Zusammenarbeit mit der Sowjetunion auch in unserem politischen und wirtschaftlichen Interesse“ sei. Die Handschrift des – nicht anwesenden – Bundesaußenministers war deutlich zu spüren. Kohl sprach sich auch erneut für eine Reduzierung der atomaren Kurzstreckenraketen aus.

Unter dem Druck seiner NATO- Partner gab er jedoch seinen Wunsch nach einer dritten Null- Lösung auf. Denn, so Kehtl, Nuklearwaffen seien unter den derzeitigen Bedingungen als „politische Waffe“ unabdingbar. Gleichzeitig bestand Kohl jedoch auf einem weltweiten Verbot chemischer Waffen.

Der neue Pentagon-Chef Frank Carlucci forderte hingegen die baldige Umsetzung des NATO- Beschlusses 1983 von Montebello. Damals hatten sich die NATO-Staaten darauf geeinigt, die atomaren Kurzstreckenwaffen bis 1988/89 zu modernisieren. Das defensive Verhalten der Bonner Regierungsmitglieder zeigt, daß die Friedensbewegung zwar eine Schlacht verloren, den Krieg um die Köpfe aber gewonnen hat“, kommentierte der sozialdemokratischeVerteidiungsexperte Erwin Horn.

Sein Fraktionschef, Oppositionsführer Hans-Jochen Vogel lehnte die „Diskussion um eine Modernisierung oder Nachrüstuöng ab, solange nicht ein integriertes Abrüstungskonzept der NATO vorliegt“. Er argumentierte, daß mit dem Mittelstreckenabkommen und der Aussicht auf einen baldigen START-Vertrag (Halbierung der strategischen, weitreichenden Atomrakteten) eine „veränderte Situation geschaffen“ sei, die eine Überprüfung des Montebello-Beschlusses erfordere.

Die Amerikaner beeindruckte dies allerdings überhaupt nicht. US-Botschafter in Bonn, Richard Burt, wies darauf hin, daß eine dritte Null-Lösung das konventionelle Übergewicht der Warschauer Pakt-Truppen noch bedrohlicher machen würde.

Dieser Einsicht beugte sich auch Kohl, als er die konventionelle Überlegenheit des Warschauer Paktes und die dadurch gegebene Invasionsgefahr als „Kernproblem der Sicherheit in Europa“ bezeichnete.

Die Kontroverse war durch ein im Januar vorgelegtes Langzeit-Strategiepapier einer noch von Ex- Pentagon-Chef Weinberger eingesetzten Kommission aus prominenten US-Sicherheitspolitikern und Militärs angeheizt worden (siehe Seite 5). Den zur Beruhigung gedachten Hinweis des Kommissionsvorsitzenden und Verteidigungsstaatssekretärs Fred Ikle, es handele sich lediglich um einen Expertenvorschlag und nicht um eine regierungsamtliche Strategieänderung, konterte einer, der es wissen muß.

General a.D. Gerd Schmückle, langjähriger Stellvertreter der NATO- Oberbefehlshaber Haig und Rogers: „Unsere amerikanischen Freunde sind Meister in der Entwicklung von Konzepten. Das haben wir nun dreimal erlebt, auch bei der „Felexiblen Response“.

Erst kommt eine Expertenstudie, dann folgen zahlreiche Artikel und so werden unsere Gehirne in Europa langsam ausgewaschen mit den alten Vorstellungen und die neuen kommen hinein. Wir sollten das endlich auch einmal so machen.“ Wieweit die Irritationen inzwischen gehen, zeigt die Haltung der Sozialdemokraten: „Wenn das Ikle-Papier Grundlage der Politik der US-Regierung wird, stößt dies auf Widerstand aller maßgeblichen politischen Kräfte in der Bundesrepublik“. erklärte Parteichef Vogel.