Bisher keine Spur von Entführten im Libanon

Versuche zur Befreiung von Ralph Schray ohne Ergebnis / Freilassung von skandinavischen UNO-Mitarbeitern wird erwartet / Tod eines französischen Geheimagenten wird der armenischen Geheimorganisation „Asala“ angelastet / Abu Nidal an Entführungen nicht beteiligt  ■ Aus Beirut Petra Groll

Ohne Ergebnis geblieben sind am vergangenen Wochenende Nachforschungen über das Schicksal verschiedener westlicher Ausländer, die in den vergangenen 14 Tagen Opfer von Entführungen oder Attentaten in Libanon geworden sind. Entgegen wiederholten Ankündigungen, die Freilassung des Bundesbürgers Ralph Schray, dessen Entführung in Westbeirut mit dem Düsseldorfer Prozeß gegen den Libanesen Abbas Hamadi in Verbindung gebracht wird, stehe unmittelbar bevor, fehlt weiterhin jede Spur von dem Mann, der außer einem deutschen Vater offenbar keinerlei Beziehungen zur BRD hat. Weder die Existenz eines Bekennerschreibens noch Forderungen der Entführer wurden bislang offiziell bekannt.

Nach Informationen aus diplomatischen Kreisen in Beirut versuchen sowohl das syrische Regime als auch die Teheraner Führung die Freilassung Schrays zu erreichen. Letztere soll mit der Entführung Schrays keinesfalls einverstanden sein und entsprechend bei der „Partei Gottes“, der Hizbollah, in Beirut interveniert haben. Mit neuerlichem Gesichtsverlust endeten indes die Bemühungen des syrischen Generals Ghazi Kanaan um die Freilassung Schrays. Kanaan hatte in Westbeirut und den südlichen Vororten der Hauptstadt die Verhandlungen geführt. Am Wochenende reiste er wieder ab, nachdem mindestens zwei Ultimaten, die er den Entführern gestellt hatte, nicht beachtet worden waren.

Offenbar weniger kompliziert scheint der Fall zweier Skandinavier zu sein, die am vergangenen Freitag in der südlibanesischen Hafenstadt Saida entführt wurden. Am Sonntag morgen wurde dort angekündigt, der Schwede Jan Stening und der Norweger William Jörgensen, die beide als Koordinatoren des UN-Hilfswerks für Palästinaflüchtlinge (UNRWA) im Südlibanon arbeiten, würden in den nächsten 48 Stunden freigelassen. Am Samstag war die Palästinenserorganisation Fateh-revolutionärer Rat des Abu Nidal für das Kidnapping verantwortlich gemacht worden, und die Entführung als Versuch gedeutet worden, das Aufbau- und Entwicklungsprogramm der UN für Libanon zu torpedieren. Nach einem entschiedenen Dementi der Organisation mutmaßen Beobachter nun, daß eine Korruptionsaffäre, die in jüngster Vergangenheit zur Entlassung von sechs palästinensischen UNRWA-Mitarbeitern geführt hatte, der Hintergrund dieser Entführung ist. Andere ausländische Mitarbeiter der UNRWA haben inzwischen den Südlibanon panikartig verlassen. Die Leitung der UNRWA in Beirut drohte an, alle ausländischen Mitarbeiter des Hilfswerks in Libanon abzuziehen, falls die beiden Skandinavier nicht umgehend freikämen. Vor ca. drei Jahren war der britische Journalist Alec Collett, der im Auftrag der UNRWA in Libanon arbeitete, entführt worden. Im April 86 hatte die „revolutionäre Organisation sozialistischer Moslems“ die Exekution Colletts bekanntgegeben. Seine Leiche wurde niemals gefunden. Medien hatten damals ebenfalls die Organisation des Abu Nidal verant wortlich gemacht.

Weiterhin geheimnisvoll bleibt indes das tödliche Attentat gegen den Franzosen Jacques Merrin, der am Dienstag vergangener Woche im christlich kontrollierten Ostbeirut erschossen worden war. Während die französische Botschaft in Ostbeirut darauf besteht, Merrin, der mit einem falschen Paß mit dem Namen Jacques Meuran aufgefunden wurde, sei als Geschäftsmann der Tabakindustrie in Libanon unterwegs gewesen, ist nach verschiedenen Meldungen aus Paris mittlerweile unzweifelhaft, daß Merrin im Auftrag des französischen Geheimdienstes DGSE reiste. Merrin soll als stellvertretender Leiter des Libanon- Departements des Geheimdienstes u.a. das Attentat gegen einen weiteren als „Ingenieur in der Weinindustrie“ bekannten Franzosen namens Richard Gimpel in Ostbeirut untersucht haben. Gimpel war für gute Beziehungen zu einer prosyrischen Rebellenfraktion der christlich-maronitischen Miliz „Forces Libanaises“ bekannt und bei Treffen mit französischen Geheimdienstlern in Ostbeirut beobachtet worden.

In einer Erklärung der „Bewegung 9.Mai-Forces Libaneses“ des Elie Hobeika, die am Wochenende in Paris veröffentlicht wurde, hieß es, man habe seit 1985 gute Kontakte mit dem französischen Agenten gehabt, der im Libanon nach der armenischen Geheimorganisation „Asala“ geforscht habe. Die Asala sei im Ostbeiruter Stadtteil Bourj Hamoud besonders gut vertreten, hieß es in jener Erklärung weiter. Die Organisation wurde im gleichen Schreiben für die Attentate gegen den französischen Militärattache Gouttiere, zwei französische Gendarmen und den „Ingenieur“ Gimpel – alle in Ostbeirut – verantwortlich gemacht.

In einer gleichfalls am Wochenende in Westbeirut veröffentlichten Erklärung weist Asala jede Beschuldigung der Splittergruppe des Elie Hobeika zurück. Die Geheime Armee zur Befreiung Armeniens (Asala) sei bereit, überall in der Welt gegen Imperialismus und reaktionäre Regime zu kämpfen, die dem faschistischen Regime in Ankara dienen, heißt es in der Asala-Erklärung, aber „wir besitzen ausreichend Mut, die Verantwortung für all unsere Operationen zu übernehmen, was auch immer das Ergebnis sei.“