NRW-Studie: Atom-Ausstieg ist möglich

Prognos-Studie: Strompreisanstieg minimal / Per Saldo 90.000 bis 125.000 zusätzliche Arbeitsplätze durch Ausstieg / Jochimsen will Kalkar über die nicht vorhandene Entsorgung kippen / Kein Ausstiegsplan für Nordrhein-Westfalen  ■ Aus Düsseldorf Walter Jakobs

Der nordrhein-westfälische Wirtschaftsminister Reimut Jochimsen hat am Dienstag in Düsseldorf eine mehr als 600 Seiten umfassende Studie des Baseler Prognos- Instituts vorgestellt, die zu dem Ergebnis kommt, daß ein „Umsteuern auf eine Energieversorgung ohne Kernenergie technisch, beschäftigungsmäßig, ökologisch und wirtschaftlich möglich und vorteilhaft ist“. Jochimsen sprach bei der Vorstellung der Studie seine Hoffnung aus, daß es „uns gelingt, alle nachdenklichen Stimmen in einem neuen energiepolitischen Konsens zu vereinen, der in Zusammenhang mit der Kernkraft das Wort von der Übergangstechnologie wirklich beim Wort nimmt“. Zu den nachdenklichen Stimmen zählte Jochimsen neben Lothar Späth auch den FDP- Generalsekretär Helmut Haussmann. Die BRD könne „als eines der führenden Industrieländer durch den Verzicht auf die zivile Nutzung der Kernenergie ein weltweit wirksames Beispiel setzen“. So verstanden, könne „ein Umsteuern der Energieversorgung auch als Chance begriffen werden“. Jochimsen wörtlich: „Daß ein Umsteuern die Industrienation Bundesrepublik Deutschland von der weltweiten Wirtschaftsentwicklung abkoppeln würde, sehe ich nicht.“ Eine Energieversorgung ohne Kernenergie ist nach der Prognos-Studie dann möglich, wenn konsequent Strom und Brennstoff eingespart werden, ein umfangreicher Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung mit Nah- und Fernwärmenetzen erfolgt und verbesserte Kraft werkstechnologien eingesetzt werden. Um eine Energieversorgung ohne Kernenergie einzuleiten, sei jetzt „die Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes und die Verabschiedung des von der SPD im Bundestag eingebrachten „Kernenergieabwicklungsgesetzes“ nötig.

Wie lange die Übergangszeit dauern kann, ließ Jochimsen offen. Bei der Vorstellung der Kurzfassung der Prognos-Studie im September letzten Jahres hatte er davon gesprochen, daß ein Ersatz der Kernenergie bis um die Jahrhundertwende energietechnisch und volkswirtschaftlich „günstig erreicht“ werden könne. Nach den Berechnungen von Prognos würden die Stromerzeugungskosten im Falle des Ausstiegs im Durchschnitt des Zeitraums von 1990 bis 2010 „insgesamt nur um 5-6 her liegen als in dem zum Vergleich heranzuziehenden Referenzszenario mit Kernenergie“. Eine Energieversorgung ohne Kernenergie hätte laut Prognos zudem einen arbeitsplatzschaffenden Effekt. Per Saldo würde das Beschäftigungsniveau durch den Ausstieg um 90.000 bis 125.000 Arbeitsplätze anwachsen.

Konkrete Auswirkungen auf die nordrhein-westfälischen Atomanlagen hat die Studie nicht. Die sind möglicherweise von der Sicherheitsüberprüfung zu erwarten, deren Ergebnis Jochimsen in ein paar Monaten erwartet. Klar ist aber, daß die Landesregierung den Schnellen Brüter in Kalkar nicht genehmigen wird. Neben den Sicherheitsbedenken glaubt die Rau-Regierung, daß die ungelöste Entsorgungsfrage genügend Stoff bietet, um auch juristisch mit Aussicht auf Erfolg das Nein durchsetzen zu können. Ob der THTR in Hamm eine endgültige Betriebsgenehmigung bekommt, ließ Jochimsen offen. In dieser Legislaturperiode sei damit aber nicht mehr zu rechnen.

Den von der SPD-Landtagsfraktion am 10.7.1986 geforderten Stufenplan für einen Ausstieg wird es ebenfalls so bald nicht geben. Die Fraktion hatte die Landesregierung aufgefordert, „bis Mitte 1987 dem Landtag darüber zu berichten, in welcher Weise und in welchen Fristen der Übergang zu einer Energieversorgung ohne Kernkraft vollzogen wird“. Durch die Prognos-Studie sah Jochimsen im Gegensatz zu Fraktionschef Farthmann noch im September letzten Jahres diese Forderung erfüllt.