Österreich im Waldheim-Koma

■ Auch nach der Vorlage des Berichts der Historikerkommission bleibt Österreich tief gespalten

Eine Funktion hat der Bericht der Historikerkommission zur Vergangenheit des österreichischen Präsidenten in jedem Fall gehabt: Er liefert Befürwortern wie Gegnern ihres Staatsoberhaupts Material für die weitere Auseinandersetzung. Waldheim selbst fühlt sich entlastet, andererseits finden sich jede Menge Belege für seine Verstrickung in die Nazi-Kriegsmaschinerie. Der Fall Waldheim geht weiter.

Montag 18.00 Uhr im Bundeskanzleramt am Wiener Ballhausplatz. Die schreibende Zunft der Donaumetropole drängt sich im Steinsaal. Man gibt sich aufgeregt und wichtig. Schließlich ist man ja nicht alle Tage dabei, wenn ein bißchen Weltgeschichte gemacht wird, noch dazu so offen deklariert. Amerikaner interviewen österreichische Kollegen und umgekehrt. Die Historiker und die Regierung lassen auf sich warten. Der Kopierer sei überfordert, heißt es. Schließlich hat der Bericht der Kommission gut 200 Seiten.

Dann, mit rund eineinhalb Stunden Verspätung, taucht die Kommission auf. Ihr Chef Hans Rudolf Kurz überreicht vor laufenden Kameras den Bericht dem Bundeskanzler, um sodann den wartenden Journalisten mitzuteileen, daß er sich nun zum Bundespräsidenten begeben werde und ihnen im übrigen einen schönen Abend wünsche. Die Journalisten sind entsetzt und beruhigen sich erst wieder, als Kanzler Franz Vranitzky und sein Vize Alois Mock vor die Fotografen treten. Vranitzky blinzelt ins Scheinwerferlicht und erklärt dann viererlei: 1. Die Kommission habe nun ihre Arbeit beendet, sie habe 2. kein persönliches, unmittelbares schuldhaftes Verhalten Waldheims im Zusammenhang mit Kriegsverbrechen festgestellt; 3. es gebe viele kritische Anmerkungen über Waldheims Tätigkeit; diese machten Vranitzky betroffen, weil so 4. eine schwierige Situation der Erklärungen und Begründungen entstünde.

Alois Mock ist auch betroffen, das offenbart er deutlich, er hat Mühe, einen ganzen zusammenhängenden Satz herauszubringen. Seine Betroffenheit rührt daher, daß die Historiker nicht bloß Fakten auflisten, sondern aus diesen auch eine Schlußfolgerung gezogen haben. So etwas ist für Mock eine „Überschreitung ihres Mandats“. Das mißfällt ihm, denn so kommt Waldheim nicht so billig weg, wie er hoffte. Laut Aussage des Kommissionsmitglieds Hagen Fleischer aus Kreta hat es auch den Versuch einer Einflußnahme auf den Endbericht von seiten des Außenministeriums gegeben. Mock verneint das. Zu weiteren tiefschürfenden Erklärungen lassen sich die beiden Regierungschefs nicht hinreißen. Vranitzky allerdings hat keine Illusionen, daß mit dem Historikerbericht die Waldheimdiskussion beendet wäre. Das glaubt er nicht.

Zu vielfältig interpretierbar ist der Bericht und zu unsicher ist es, ob die Kommission nicht doch noch mit neuen Fakten und Dokumenten konfrontiert werden könnte. In diesem Fall wären die Historiker bereit, ihre Arbeit wieder aufzunehmen.

Doch so ungeschoren, wie Waldheim selber dies dünkt, ist er im Bericht gar nicht weggekommen. Wenn er auch keiner unmittelbaren Beteiligung an Kriegsverbrechen für schuldig befunden wird, so liest sich der Bericht doch stellenweise wie die moralische Demontage des Präsidenten.

Da heißt es beispielsweise, daß Waldheim aus einer „beträchtlichen Anzahl von Lageberichten und Kriegstagebucheintragungen einen tiefen und umfassenden Einblick in die Verhältnisse namentlich an der Fronten und auf dem Balkan“ erhalten habe. Waldheims Einblicke seien „umfassend“ gewesen: „Sie bezogen sich nicht nur auf die taktischen, strategischen und administrativen Anordnungen, sondern schlossen in einigen Fällen auch die Handlungen und Maßnahmen ein, die im Widerspruch zum Kriegsrecht und zu den Grundsätzen der Menschlichkeit standen.“

Die Kommission habe „von keinem Fall Kenntnis erhalten, in welchem Waldheim gegen die Anordnung eines von ihm zweifellos erkannten Unrechts Einspruch erhoben, Protest geführt oder irgendwelche Gegenmaßnahmen getroffen“ habe, „um die Verwirklichung des Unrechts zu verhindern oder zumindest zu erschweren“. Waldheim habe „im Gegenteil wiederholt im Zusammenhang rechtswidriger Vorgänge mitgewirkt und damit deren Vollzug erleichtert“.

Die Kommission beendet die Schlußbetrachtungen mit der Feststellung, sie sehe ihren Auftrag im Zusammenhang mit Waldheims Darlegungen zu seiner militärischen Vergangenheit. „Waldheims Darstellung seiner militärischen Vergangenheit steht in vielen Punkten nicht im Einklang mit den Ergebnissen der Kommissionsarbeit. Er war bemüht, seine militärische Vergangenheit in Vergessenheit geraten zu lassen und, sobald das nicht mehr möglich war, zu verharmlosen. Dieses Vergessen ist nach Auffassung der Kommission so grundsätzlich, daß sie keine klärenden Hinweise für ihre Arbeit von Waldheim erhalten konnte.“ Michael Schmid