: Die infernalen Attacken
Einen „unerträglichen Österreich-Kannibalismus“ nannte der sozialistische Ministerpräsident von Wien, Helmut Zilk, die Äußerung, und Alois Mock, Österreichs Außenminister und Vorsitzender der konservativen Volkspartei (ÖVP) befand, die Behauptungen Bronfmans seien eine „Verdrehung der Geschichte, eine ungeheuerliche Feststellung und eine Beleidigung aller Österreicher“. Behauptet hatte der Präsident des Jüdischen Weltkongresses, Edgar Bronfman, am Wochenende, Bundespräsident Kurt Waldheim sei „nur ein Symbol Österreichs und der österreichischen Mitwirkung am Holocaust“. Das war eine schlimme Schmäh für den „Mann, dem die Welt vertraut“ (Wahlkampf slogan 1986). Zumal mittlerweile durchgesickert war, daß die Historikerkommission zur Überprüfung von Waldheims Vergangenheit, die im vergangenen Jahr zur Weißwäsche eingesetzt worden war, diesen ungeschriebenen Auftrag recht gründlich mißverstanden und zu dem peinlichen Ergebnis gekommen war, daß dem heutigen Staatspräsidenten zumindest moralische Mitschuld vorzuwerfen sei.
Diese Formulierung konnte Außenminister Mock zwar noch rechtzeitig aus dem Papier entfernen lassen – er, der ihr noch im vergangenen September eine „außergewöhnliche Autorität“ zugesprochen hatte. Dennoch sitzt der Stachel. Denn als Kurt Waldheim im Frühjahr 1986 für das Amt des Staatspräsidenten kandidierte, sollte er sehr wohl ein Symbol für Österreich sein, für die Weltoffenheit des kleinen Lands, für die Galanterie – für Austria felix. Kein Wunder, daß es die Österreicher auch damals prompt übel vermerkten, als das Wochenmagazin Profil und der Jüdische Weltkongreß in Washington plötzlich behaupteten, der Kandidat sei Mitglied der SA und des NS-Studentenbundes gewesen.
Waldheim bestritt die Vorwürfe rundweg: Er sei nie Mitglied der SA gewesen. Seine Behauptung, eine Eintragung der SA in seiner Wehrstammkarte, die Profil veröffentlicht hatte, könne anläßlich eines Reitwettkampfes erfolgt sein, kommentierte der damalige SPÖ-Kanzler Fred Sinowatz mit dem einzigen guten Witz der ganzen Affäre: „Ich nehme zur Kenntnis, daß er nicht bei der SA war, sondern nur sein Pferd.“ Die Angriffe von draußen hatten drinnen eine heftige Solidarisierung zur Folge. „Jetzt erst recht“, heißt daraufhin das Wahlkampfmotto. US- und israelischer Botschafter bleiben der Amtseinführung des Staatspräsidenten Waldheim fern, den von nun ab ständig das Adjektiv „umstritten“ begleiten wird.
Das „Jetzt erst recht“ hat Auswirkungen. Vor allem auf die österreichischen Juden, denn die Anwürfe, gegen die sich jeder „richtige“ Österreicher zur Wehr setzen mußte, waren vom Jüdischen Weltkongreß gekommen. Schon früh klagt die Jüdische Gemeinde Wien über wachsenden Antisemitismus, muß sich jedoch vorwerfen lassen, selbst schuld zu sein. So äußert der ÖVP-Generalsekretär Michael Graff im Frühjahr 86 im ORF: „Hier werden Gefühle in Bewegung gesetzt“ und meint damit antisemitische, und „weil gerade diese überdrehten Angriffe vom jüdischen Weltkongreß hier in diesem Land Emotionen auslösen könnten, die wir alle miteinander nicht haben wollen.“
Im April 87 wird Waldheim auf die US-Watchlist gesetzt, was ein Besuchsverbot der USA bedeutet. Die vehementen Proteste der österreichischen Regierung gegen diese Entscheidung fruchten nicht. Im Mai schreibt der Vizebürgermeister der Stadt Linz, Carl Hödl von der ÖVP, einen empörten Brief an Edgar Bronfman vom Jüdischen Weltkongreß. Bronfman hatte erklärt, Waldheim sei ein „wesentlicher Bestandteil der Nazi-Tötungsmaschine“ gewesen. In Hödls Brief heißt es: „Auf Ihre unsachlichen, unqualifizierten, aber zutiefst infernalen Attacken gegen unseren Herrn Bundespräsidenten und damit gegen uns Österreicher, muß ich mich als Österreicher zur Wehr setzen. (...) Wenn Sie wider besseren Wissens Ihre Behauptungen von sich gegeben haben, dann sind sie so zu werten wie die Ihrer Glaubensgenossen vor 2.000 Jahren, die in einem Schauprozeß Jesus Chrstus zum Tode verurteilen ließen, weil er in das Konzept der Herren von Jerusalem nicht paßte.“ Auf heftige Proteste im In- und Ausland verabschiedet die ÖVP eine Resolution, in der sie „jede Form des Antisemitismus“ verurteilt, gleichzeitig lehnt sie den Rücktritt Hödls ab, den sogar Bundeskanzler Franz Vranitzky befürwortet hatte. Die Resolution wird als einleitende Vorbereitung auf den 50. Jahrestag der deutschen Besetzung Österreichs dargestellt. In einer These zu diesem geschichtlichen Ereignis heißt es, Österreich sei das erste Opfer Hitlers gewesen.
Und ÖVP-Generalsekreätr Michael Graff legte in einem Interview im vergangenen Oktober seine Sicht so dar: „Solange nicht bewiesen ist, daß er (Waldheim) eigenhändig sechs Juden erwürgt hat, gibt es kein Problem.“ Probleme bekam Graff, er mußte wegen dieser Äußerung nämlich gehen. Doch im Kern mag er wohl recht haben. Eine andere Frage ist die nach dem innenpolitischen Klima. Im Sommer letzten Jahres bemerkte dazu der Liedermacher Andre Heller: „Wir leben in einer Art von stillem Bürgerkrieg.“ Ein wirklicher Waffenstillstand ist nicht in Sicht. Antje Bauer
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