Wenn das der Mahatma wüßte...

Indien rüstet sich zur südasiatischen Supermacht: Premier Rajiv Gandhi forciert sowohl den Ausbau der Kriegsmarine als auch den Aufbau einer eigenen Rüstungsindustrie / Verdoppelung des Militärhaushalts in den letzten vier Jahren / Der Krieg gegen die Guerilla in Sri Lanka als Testlabor für das indische Militär  ■ Aus Neu-Delhi Biggi Wolff

Mit einer Zurschaustellung neuerworbener militärischer Macht feierte Premier Rajiv Gandhi den 38. Jahrestag der Republik Indien am 26. Januar. Mit dem Habitus einer Hegemonialmacht wurden auf der zweistündigen Parade Indiens Schätze präsentiert: Unter anderem wurden schwedische Feldhaubitzen aufgefahren, die wegen der von der Rüstungsfirma Bofors an indische Agenten gezahlten Schmiergelder in Höhe von 80 Millionen Mark Schlagzeilen machen. Danach rollte der Prototyp des in Indien gebauten „Arjun“- Panzers, bestückt mit 120 mm- Kanonen und Motoren der bundesdeutschen Motoren-Turbinen-Union (MTU) am Ehrengast Präsident Jayewardene aus Sri Lanka vorüber.

Trotz eines Budgets von vier Milliarden Mark allein für die Entwicklung eigenen Kriegsgerätes besteht kaum Aussicht, daß Indien in naher Zukunft bei den am weitesten entwickelten militärischen Systemen von Importen unabhängig wird. Zwei Drittel aller indischen Rüstungsimporte stammen aus den Ländern des Warschauer Pakts, vor allem aus der traditionell freundschaftlich verbundenen Sowjetunion. Doch seit Rajiv Gandhi 1984 die Nachfolge seiner Mutter Indira angetreten hat, bemüht sich die Regierung in Delhi deutlich um eine Verbesserung ihrer politischen, wirtschaftlichen und militärischen Beziehungen zum Westen. Von den bundesdeutschen Howaldtswerken wurden U-Boote eingekauft, dabei sollen von HDW rund 40 Millionen Mark Bestechungsgelder ge zahlt worden sein. Aus Singapur kommen neue Küstenwachschiffe, aus Frankreich 40 Mirage-Kampfflugzeuge und aus den USA High Technology für die indischen Militärs. Im Zeitraum 1984 bis 88 wurde der indische Haushalt für Sicherheit und Verteidigung um hundert Prozent aufgestockt. Für 1988 macht er 18 Milliarden Mark und damit rund ein Drittel des gesamten indischen Haushaltes aus. Mit 3,5 Millionen Soldaten verfügt Indien über das viertgrößte Heer aller Nationen.

Die Regierung begründet die massive Aufrüstung mit der „Umzingelung durch feindliche Mächte“. Gemeint sind die Staaten Pakistan, Bangla Desh und China im Norden. Bis zur Unterzeichnung des „Friedenspaktes“ galt auch Sri Lanka im Süden als potentieller Feind. An den Grenzen zu Pakistan und China kommt es seit der Unabhängigkeit Indiens 1947 immer wieder zu militärischen Auseinandersetzungen. Die ständige Militärpräsenz an der indo-chinesischen Grenze kostet das indische Volk derzeit täglich 3,7 Millionen Mark. Weitere 2,5 Millionen Mark pro Tag verschlingen die immer wieder aufflammenden Kämpfe mit pakistanischen Truppen in den 6.000 Meter hohen Gletschern des Himalaya bei Siachen, wo es um die von Pakistan kontrollierten Gebiete Kashmirs geht. Neu-Delhi wirft Pakistan außerdem vor, Sikh-Extremisten im nordindischen Bundesstaat Punjab bei deren Separatismusbestrebungen zu unterstützen. Jüngster Zankapfel der beiden verfeindeten Staaten ist Indiens Vertrag mit der Sowjetunion über die Anmietung von vier atomgetriebenen U-Booten. „Alle Staaten mit moderner Kriegsmarine sind im Besitz atomgetriebener U-Boote oder versuchen zumindest, sie zu erwerben. Wir wollen nicht hinter den anderen zurückbleiben“, meinte Gandhi in dieser Woche. So traf das erste „Shakra“-U-Boot am vergangenen Mittwoch im Marinestützpunkt Visakhapatnam ein. Ein Sprecher des pakistanischen Außenministeriums verurteilte im Januar den Vertrag als „entscheidenden Schritt zur Nuklearisierung Asiens“.

Nach China ist Indien die zweite Nation Asiens, die über Atom-U- Boote für Langstreckenpatrouillen verfügt. Nach Ansicht von Experten sind sowohl Pakistan als auch Indien schon jetzt – oder in naher Zukunft – in der Lage, Atomwaffen zu produzieren. Indien bezeichnet sein Atomprogramm hartnäckig als „rein zivi les“, weigert sich jedoch, den Atomwaffensperrvertrag zu unterschreiben. „Wir meinen“, so begründete Rajiv Gandhi erst in diesen Tagen wieder, „daß der Vertrag in seiner gegenwärtigen Form diskriminierend ist. Auch erfüllen die Hauptländer mit Nuklearwaffenbesitz nicht ihre eingegangenen Verpflichtungen.“

Von der pakistanischen Regierung wird zwar eine Urananreicherungsanlage bei Rawalpindi zugegeben, jedoch – so die offizielle Version – könnten dort keine Atomwaffen produziert werden. Zahlreiche bekanntgewordene Atomdeals lassen jedoch darauf schließen, daß sich das Land die für militärische Zwecke benötigte Nuklearausrüstung Stück für Stück aus verschiedenen westlichen Ländern zusammengekauft hat (s. taz vom 18.1.1988). Wissenschaftler sagen bis 1990 für Pakistan 15, für Indien 100 Atombomben der Hiroshima-Stärke voraus.

Indiens militärische Intervention auf Sri Lanka wurde sowohl von der Sowjetunion als auch den USA begrüßt. Da davon ausgegangen werden muß, daß das „Friedensabkommen“ nicht ohne vorherige Konsultierung der Supermächte zustande kam, kann vermutet werden, daß die Supermächte Indiens Rolle als Großmacht in Südasien akzeptiert haben. Rajiv Gandhi erhofft sich durch den Schulterschluß mit Sri Lankas Jayewardene auch eine Durchkreuzung der Pläne seiner Feinde im Norden, die Indien nur gerne in Konfrontation mit Colombo und dessen westlichen Verbündeten gesehen hätten. Pakistanische Militärberater hatten die Regierung Sri Lankas jahrelang bei ihrem Kampf gegen die tamilische Guerilla unterstützt, zu Zeiten als diese noch Indiens Wohlwollen genoß und mit Waffen aus indischen Quellen versorgt wurde. Der „Friedensvertrag“ enthält eine Klausel, nach der lankanische Häfen in Zukunft nur dann ausländischen Mächten zur Verfügung stehen sollen, wenn dies nicht Indiens Sicherheitsinteressen widerspricht. Doch mit der Annäherung Indiens an die USA wird diese Klausel fast bedeutungslos. Indien selbst hat seit 1984 zwölf US-amerikanischen Kriegsschiffen erlaubt, in den Häfen Cochin und Bombay anzulegen. Sieben der Schiffe, die Nuklearwaffen an Bord gehabt haben sollen, kamen allein im Jahr 1987. Neben dem Flottenstützpunkt Diego Garcia scheint sich damit die indische Westküste als wichtiger Zwischenstopp für die siebte US-amerikanische Flotte auf ihrem Weg in den Golf zu entwickeln.

Indien hat sich mit dem „Friedensvertrag“ gleichzeitig die Rechte für den Hafen Trincomalee an der Ostküste Sri Lankas gesichert. Darüber hinaus, so ist aus Militärkreisen ganz offen zu hören, sei Sri Lanka ein ideales Experimentierfeld für militärische Taktiken. Mindestens 45.000 indische Soldaten sind dort zur Zeit im Einsatz, dazu die gesamte Bandbreite modernsten Kriegsgerätes. Es ist das erste Mal, so offizielle Stellen, daß die indische Marine, Armee und Luftwaffe „Joint operations“ durchführten, das erste Mal, daß indische Kampfhubschrauber im Kampf erprobt wurden und das erste Mal, daß zur Unterstützung von Landoperationen Kriegsschiffe eingesetzt wurden.