Die Vision vom Freistaat Plattdeutschland

Hamburger Politiker diskutieren Neuordnung der Bundesländer / Finanz- und Wirtschaftskrise ermuntern zu Polit-Utopien / Diverse Varianten eines Zusammenschlusses der nördlichen Bundesländer / Gelächter in den Landeshauptstädten Kiel, Bremen und Hannover  ■ Aus Hamburg Florian Marten.

Wenn heute Hamburgs Stadtchef Klaus von Dohnanyi (SPD) vor die Herrenriege des Hamburger Überseeclubs tritt, um seine Vision eines kleinen Nordstaates aus Hamburg und Schleswig-Holstein zu entwickeln, springt er auf einen Diskussionszug auf, den der Banker Eckard van Hooven (im Vorstand der Deutschen Bank für Norddeutschland zuständig) 1986 wieder ins Rollen brachte. Van Hooven, damals als CDU-Schatten-Wirtschafssenator im Hamburger Bürgerschaftswahlkampf aktiv, lancierte die Idee als großkapitale Notwendigkeit: Der Wirtschaftsboom der Südstaaten sei auch auf ihre schlagkräftige Administration zurückzuführen. Die Stadtstaaten seien ein wirtschaftspolitischer Anachronismus.

Hamburger Politiker aus FDP und SPD näherten sich dem Thema Nordstaat dank der Sinnlichkeit leerer Kassen: Immer häufiger drohten sie in Richtung Bonn, ohne finanzielle Zugeständnisse sei „die Existenz des Stadtstaates Hamburg gefährdet“ (Dohnanyi). Weitgehend unbeachtet kam Ende 1986 eine Enquete-Kommission der Hamburger Bürgerschaft nach zweijähriger vorzüglicher Arbeit über die „ökologische und ökonomische Situation der Unterelbe“ zu einem Vorschlag, der in Richtung Norstaat weist:

Verkehrs- und Energiepolitik, Ansiedlung ökologisch verträglicher Industrien, Umbau der Giftindustrien, die Beseitigung von Altlasten, ein großräumiges Müllkonzept wie schließlich auch ein sinnvolles Sturmflut-Schutzkonzept seien in der gegenwärtigen politischen Gliederung des Unterelberaums nicht sinnvoll zu organisieren. Ihr vorsichtiger Vorschlag: ein „Modell Regionalverwaltung“ mit eigenen Kompetenzen.

Horst Gobrecht (SPD), ehemaliger Hamburger Finanzsenator, brachte jetzt die Hamburger SPD- Bürgerschaftsfraktion auf Vordermann: Per Großer Anfrage lancierte sie die Norstaatsvision in den parlamentarischen Raum.

Doch Bundestag und Landesparlamente haben in den siebziger Jahren den Nordstaat schon einmal diskutiert. Willy Brandt hatte im Grundgesetz gelesen, daß die Ländergliederung der BRD neu organisisert werden „soll“. Die daraufhin angesetzte sogenannte „Ernst-Kommission“ legte 1973 ihren Abschlußbericht vor und empfahl darin zwei Nordstaatsvarianten:

1. Die große Lösung mit dem Zusammenschluß aller vier norddeutschen Bundesländer um die Hauptstadt Hamburg.

2. Eine doppelte Zweierlösung, den „Nordost-Staat“ aus Hamburg, Schleswig-Holstein und den nordniedersächsischen Landkreisen entlang der Elbe, sowie den „Nord-West-Staat“ aus Restniedersachsen und Bremen.

Die Hamburger Bürgerschaft lehnte damals dieses Ansinnen mit einem eigenen Komssionsbericht ab. Die Neugliederung der Bundesländer verschwand aus der Diskussion.

Die jetzt erneut ins Gespräch gekommenen Nordstaat-Modelle wurden von den Hamburger FDP- Spitzen Robert Vogel (Landes- Chef) und Ingo von Münch (Vize- Bürgermeister) um die „kleine“ Nord-Ost-Variante ergänzt: Ein bloßer Zusammenschluß von Hamburg und Schleswig-Hol stein. Dies, so erste Kritiker, mache jedoch wenig Sinn, da die Probleme des Unterelberraumes so unverändert erhalten blieben.

Horst Gobrecht, der ehemalige SPD-Finanzsenator in Hamburg, Verfechter der großen Lösung, weiß aus seiner mehrjährigen Erfahrung als Mitglied länderübergreifender Politgremien, daß die von allen Ländern geforderte stärkere Koordination immer dann, wenns wichtig wird, an politischen Landesegoismen scheitert. Den Nordstaat sieht er, vorsichtig optimistisch, als „Programm für das Jahr 2000“. Die politischen Hürden sind hoch: Der Bundestag muß ein Gesetz zur Neuordnung der Länder beschließen. Daraufhin muß in den betroffenen Bundesländern jeweils eine Mehrheit in einer Volksbefragung zustandekommen.

Die anderen Nordstaaten reagierten höhnisch bis zurückweisend: Bremens Stadt-Chef Wedemeier lachte sich kaputt, Schlewig-Holsteins SPD-Landtagsfraktion hält die Diskussion für überflüssig und prophezeite, die Hamburger würden sich „blutige Nasen“ holen. Die Regierung des von den Besatzungsmächten geschaffenen Kunststaates Niedersachen meint, die niedersächsische Bevölkerung habe „längst ein Eigenbewußtsein“ entwickelt. Und: „Auch Millionen von Flüchtlingen sind in Niedersachsen heimisch geworden.“ Die Hamburger Grünalternativen warnen vor der Verschärfung des Stadt-Land-Konflikts bei einer Realisierung des „Windeis“ Nordstaat.

Horst Gobrecht skeptisch: „Bisher hat es Länderneuregelungen nur nach schweren kriegerischen Verwerfungen gegeben.“