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„Der Führergruß alleine genügt nicht mehr“

Italiens Neofaschisten suchen eine neue Identität / Der Verlust von Wählerstimmen und Flügelkämpfe begleiten den „Erneuerungs“-prozeß. Verliert der „Faschismus“ seinen Sinn, wie es der Historiker De Felice behauptet, oder gelingt der Versuch durch Anpassung der Politik mehrheitsfähig zu werden?  ■ Aus Rom Werner Raith

Peppino, Pizzabäcker vom „Il Tappo“ in Montenero, hebt die Hand schräg nach oben, und unverzüglich tönt aus der Küche der Ruf: „Nein, nicht jetzt, hau ab zum Ofen.“ Peppino erstarrt, murmelt „Evviva“ und verschiebt seinen Auftritt. Doch auftreten wird er in jedem Fall, früher oder später. Wenn nicht heute abend, so morgen oder übermorgen, und wenn nicht in seiner Pizzeria, mangels momentan gläubiger Zuschauer, so im Hauptquartier des örtlichen „Movimento sociale italiano“, der neofaschistischen Partei. Peppino, (43) „geboren im Jahr als der Duce starb“, gilt als einer der Hoffnungsträger des Provinzverbandes des MSI. Verdient gemacht hat er sich in einer ganzen Reihe von Saalschlachten (eine respektable Anzahl von Narben zeugt davon). „Ziemlich gebildet“ sei er außerdem, sagt sein Bruder – will heißen, daß er den Schriftsteller Gabriele DAnnunzio ebenso kennt wie den derzeit heißdiskutierten rechten Historiker Renzo De Felice. „Fleißig ist er auch“, setzt seine Frau dazu – „wenn er nicht gerade über Politik spricht, da kennt er kein Ende.“

So recht ein Mann des „Movimento rinnovato“ mithin, der „Erneuerten Bewegung“, als die eine neue Parteileitung unter dem erst 35jährigen Gianfranco Fini den ansonsten von Flügelkämpfen zermürbten MSI darzustellen versucht: Verzicht auf den proletarischen Touch, den der Gründer der Stoßkampftruppe „Ordine nuovo“, Pino Rauti (63), der Partei in Anlehnung an den nationalsozialistischen Otto-Strasser-Flügel geben will. Verzicht aber auch auf die reine Mussolini-Nostalgie, wie sie der Fraktionsvorsitzende Franco Servello, (66) noch immer hochhalten möchte. (“Es gibt keine Frage, auf die nicht in Mussolinis Politik schon eine Lösung angedeutet ist“). Peppino sieht das so: „Auch beim Duce muß man alte Zöpfe abschneiden“, ruft er auf einer Parteiversammlung im benachbarten Latina, „der würde heute auch vieles nicht mehr so machen, wie er es damals getan hat“.

Ganz freiwillig ist die Renovierung des MSI freilich nicht. Seit Jahren verliert der – noch immer 350.000 Mitglieder starke – Verband scharenweise Wählerstimmen, sein Anteil hat sich auf knappe 6 Prozent vermindert, nur noch die Hälfte aus den siebziger Jahren. Der eben ausgeschiedene langjährige Führer Giorgio Almirante (72) hatte die Wahl-Pleiten lange dadurch überdeckt, daß er immer wieder einen möglichen Eintritt in die Regierung ankündigte – der bis Anfang 1987 amtierende sozialistische Ministerpräsident Bettino Craxi hatte das auch hin und wieder in Erwägung gezogen, wenn einer seiner vier Partner aus der stets brüchigen Koalition aussteigen wollte. Doch Craxi ist nun nicht mehr Regierungschef, hat wegen „neuer Linksliebeleien“ (so ein MSI- Flugblatt) mit Almirante gebrochen – „und außerdem hat uns diese Kungelei mit den Gleichmachern vom PSI sowieso nie so recht gepaßt“, wie Peppino heute zugibt.

Doch was nun? Die alte Identität den „historischen Faschismus in moderatem Gewande“, wie ihn Almirante einige Zeit zu verkaufen gewußt hatte, hält nicht mehr; aber eine Einigung der Flügel auf neue Formeln steht noch in weiter Ferne. Vorsitzender Fini setzt auf den „Einbruch in neue, bürgerliche Wählerschichten“; und dazu dient eine „Neuorientierung auf ideologischem und taktischem Gebiet“, wie Fini in seiner Antrittsrede sagte. „Das werden wir auch schaffen“, macht sich Peppino Mut. „Wir haben schon damit begonnen. Hast du das Echo auf die von Renzo De Felice inszenierte Antifaschismus-Debatte gesehen?“

Der Historiker De Felice (69), geachtet auch bei seinen politischen Gegnern, hat sich außer mit der Publikation des x-ten Bandes seiner Mussolini-Biographie vor einigen Wochen mti der Behauptung hervorgetan, daß „heute Antifaschismus keinerlei Sinn mehr macht“: „Resistenza“ – der Widerstand gegen die Deutschen nach Mussolinis Sturz – „ist im Grunde kein Terminus für den Kampf gegen den Faschismus als solchem, sondern lediglich die Bezeichnung eines legitimen Widerstandes gegen ein unrechtmäßiges Besatzungsregime“. Auch seien die meisten Italiener „sowieso nicht mehr imstande, auch nur einen Programmpunkt des traditionellen Faschismus herzusagen, genauso wie sie kaum mehr Thesen eines wirklichen Antifaschisten kennen.“ Der Aufschrei der nach Zehntausenden zählenden Veteranenvereine der „Resistenza“ war entsprechend; doch De Felice konnte immerhin auf eine Reihe Umfragen verweisen, wonach die Italiener im Antifaschismus überwiegend nur noch Nostalgie der Großväter, aber keine Grundlage politischer Identität mehr sehen. Was Peppino und seine Parteigenossen allerdings lieber nicht diskutieren, ist die Folgerung, die De Felice aus sei ner These zieht: „Damit aber verliert auch Faschismus als solcher seinen Sinn – selbst die lautesten Duce-Verehrer können heute großenteils nicht mehr eine einzige Idee Mussolinis nennen, die ein Ansatz für moderne Politik sein könnte.“ So radikal wollen Peppinos MSIler den Faschismus denn doch nicht begraben: „Wir sind und bleiben Faschisten und ziehen aus seinen Werken unsere Kraft.“ Basta.

De Felice verweist jedoch auch hier auf empirische Materialien, die auf einen Wandel gerade des MSI-Nachwuchses verweisen. Nach einer Repräsentativerhebung des Soziologen Giovanni Tanassi ist die Mehrheit der MSI-Militanten heute „zwischen 16 und 25 Jahre, eher nord- als südlichen Typs, kommt aus dem Kleinbürgertum der Städte oder der Studentenschaft, setzt sich lieber auf rationaler Ebene als mit den Fäusten auseinander, möchte aus dem Getto früherer Jahre ausbrechen, ist „im Notfall“ jedoch auch zur Gewaltanwendung bereit; sie haben meist nicht einmal mehr eine nostalgische Beziehung zu den Blütezeiten des Faschismus der 20er und 30er Jahre – und ihre Bildung bekamen sie eher durch liberale und linke Lehrer vermittelt als durch reaktionäre und konservative“.

Hauptbetätigungsfelder: „Arbeit auf dem Gebiet der Presse, der Graphik, der Comic-Strips, im Theater; Poesie, Musik; sie kümmern sich um Frauenprobleme, Ernäherungsfragen, sind gegen Atomenergie.“ Berührungsängste haben sie nicht: 1983 zum Beispiel wählte bei den Parlamentswahlen der gesamte Block in Rom einsitzender Neofaschisten den ebenfalls inhaftierten linken „Autonomia operaia“-Führer Toni Negri. Für Peppino sind die Wahlniederlagen der letzten Jahre „ein notwendiger Einbruch beim Übergang von einer historischen Phase in eine andere“. Was „wir vor allem finden müssen, sind eigene Antworten auf die neue soziale Frage, die Macht der multinationalen Konzerne, sind Konzepte für die Friedenspolitik“. Dabei prognostiziert er noch einen weiteren Wählerverlust – „die alten Kämpfer laufen möglicherweise davon – aber das ist der Zoll für die Demokratisierung...“ dann verbessert er sich: „...für die Modernisierung“.

Das Wort „Demokratie“ geht den Neofaschisten auch nach der „Läuterung“ noch nicht so ganz von den Lippen; Feuer bekommen sie dagegen sofort in die Augen, wenn einer der Parteigenosse wieder einmal die Donnerworte ihres Ex-Führers Almirante von Anfang Februar zitiert: „Wenn man heute in Italien von Verfassungsänderung spricht, dann ist das ein Schritt hin zu unserer Republik – gegen die derzeitige Republik der Bastarde und Ex-Partisanen“. Peppino lacht, als die Worte im Gejubel fast untergehen: „Ja, das ist halt Nostalgie, Almirante ist 72. Das ist nicht gefährlich, eher antiautoritär. Der Faschismus hat einen ernsthaften Wandel hinter sich.“

Tatsächlich? Wie steht es mit dem Antisemitismus, dem Kolonialismus, Expansionismus, Antikommunismus, die doch noch den Parteitag Ende vorigen Jahres mitgeprägt hatten? Peppino beantwortet die Fragen in umgekehrter Reihenfolge: „Antikommunismus ist nicht mehr; es gibt ja auch keine Kommunisten mehr, nicht mal in Moskau.“ Und „Kolonialismus und Expansionismus betreiben doch nur noch die Amis – und gegen die waren wir schon, als noch ganz Europa hinter ihnen herlief.“ Dann wird er leiser: „Ein bißchen Antisemit wird man im Leben automatisch. Schau nur, wie sie in Gaza auf alles ballern, was lebt...“ Rechtfertigt das Versagen der dortigen Regierung den Rassismus? Sofort hat sich Peppino wieder in der Gewalt: „Von Rassismus ist keine Rede...Es geht um die Freiheit der Palästinenser.“

Doch kurz danach rutscht er schon wieder aus: bei der Diskussion über die Gewerbefreiheit ruft er dazwischen: „Marocchini“ – die Bezeichnung für afrikanische Händler auf Märkten und an Stränden – „gibts allemal zu viele; diese Schweine nehmen uns Italienern die Geschäfte weg.“ Will heißen? „Weg mit ihnen.“ Und wie? „Raus. Notfalls mit Gewalt.“ Klatschen, Getrampel im Saal. Unzufrieden ist nur der neue Vorsitzende. „Idiot“, zischt er, und nach der Redeschlacht nimmt er Peppino nochmal beiseite: „Pe“, raunzt er, „alleine die Hand zum Faschistengruß heben genügt heute nicht mehr. Wir müssen mehrheitsfähig werden. Also keine Ausfälle vor der Presse.“ Vor der Presse. Ansonsten offenbar schon.

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