Osteuropäer waren aktiv für inhaftierte DDRler

Zum ersten Mal kam es zu einer Solidaritätswelle für die DDR-Opposition / Proteste vor der Warschauer DDR-Botschaft  ■ Von Roland Hofwiler

Als lebten wir im Zeitalter der Postkutsche, dauerte es zehn Tage, bis die Nachricht aus Warschau nach Berlin gesickert war: Polnische Oppositionelle haben sich massiv für die Freilassung der Rosa-Luxemburg-Demonstranten eingesetzt. Am 30.Januar protestierten einige Aktivisten der Friedens- und Umweltbewegung „Frieden und Freiheit“ vor der DDR-Botschaft in Warschau. In einer Petition, die sie vergeblich zu übergehen versuchten, hieß es, man fühle sich solidarisch mit der ostdeutschen Friedensbewegung; wie diese sich für Menschenrechtsverletzungen in Ost-Europa einsetze, so wolle man auch nicht die Razzien, Einschüchterungen und Verhaftungen in Ost-Berlin schweigend hinnehmen.

Obwohl diese Erklärung nach den Worten polnischer Friedensaktivisten auch bundesdeutschen Journalisten an der Weichsel zugeleitet wurden, sahen diese anscheinend keine Veranlassung, darüber zu berichten. Ebenso verschweigen die Medien bisher ein Protestschreiben von 257 Oppositionellen aus ganz Ost-Europa, in der das Rechtgefordert wird, „frei zu denken, egal, ob nun von offiziellen Meinungen abweichend oder nicht“. Scharf wird „der Druck der DDR-Behörden, nur zwischen Abschiebung oder lang jährigen Haftstrafen wählen zu können“, verurteilt. Unterzeichnet wurde der Text von 79 Polen, darunter die „Frieden und Freiheit“-Sprecher Jacek Czaputovizc und Bogdan Klich, ebenso von den Solidarnosc-Führern Adam Michnik und Jacek Kuron; aus der CSSR von 23 Mitgliedern der Charta 77, aus Ungarn von der Beszelö-Gruppe um Miklos Haraszti, Janos Kis und György Konrad. Die jugoslawischen Unterzeichner waren zum einen Aktivisten der slowenischen Alternativbewegung und Reformkommunisten der legendären Belgrader „Praxis“-Gruppe. Vier Namen aus Moskau finden sich ebenfalls unter dem Protestschreiben.

Für osteuropäische Verhältnisse ist eine solche länderübergreifende Erklärung aufgrund der schlechten Kommunikationsmöglichkeiten nicht alltäglich. Zuletzt kam es im Oktober 1986 anläßlich des 30. Jahrestages des Ungarnaufstandes zu einem ähnlich breiten Protest – damals auch zum ersten Mal mitverfaßt von 19 DDR-Bürgern, darunter Ralf Hirsch und Lotte und Wolfgang Templin. Für die Oppositionsbewegungen im realsozialistischen Staatenbund war dies ein erstes Zeichen des Vertrauens gegenüber unabhängigen Meinungsäußerungen im anderen Teil Deutschlands: Zuvor beäugte man mißtrauisch und mit Distanz Friedens- und Umweltaktivitäten in Dresden, Weimar oder Berlin. In Warschau, Prag oder Budapest nahm man die DDR-Opposition einfach nicht ernst. „Wenn es kritisch wird, hauen die eh alle freiwillig in den Westen ab“, konnte man als Standardargument stets hören. Jetzt vernimmt man aus diesen Hauptstädten Bewunderung. Ein „Frieden und Freiheit“- Sprecher zur taz: „Die Mahnwachen und Gottesdienste in Ost- Berlin, das beginnt wie bei uns in Polen.“ Ein Aktivist der tschechoslowakischen Listy-Gruppe: „Wir sehen jetzt, auch in der DDR wollen immer mehr Menschen etwas verändern und suchen nicht die Abwanderung in den Westen.“