bschied von der Wissenschaftsgläubigkeit

Die Gesellschaft für Strahlen- und Umweltforschung lud Journalisten zur Fachtagung ins Frankfurter Savoy-Hotel / IAEO-Vertreter und die anderen Herren aus Atomforschung und –industrie waren überwiegend ratlos, Zuhörer mißtrauisch

Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Frankfurt (taz) – Der Leiter des Referats Öffentlichkeitsarbeit der Gesellschaft für Strahlen- und Umweltforschung(GSF), Heinz- Jörg Haury, strahlte: Nur eine halbe Stunde habe die GSF gebraucht, um herauszufinden, daß der vor Wochenfrist gemeldete neue GAU in der Sowjetunion eine Ente ersten Ranges gewesen sei. Doch die auf Einladung der GSF versammelten rund 50 Journalisten der Republik zeigten sich von Haurys Euphorie wenig beeindruckt.

Keiner sprach es aus, doch die Frage stand auch so im Konferenzraum 5 der Frankfurter Nobelherberge „Savoy“: Wie lange hätte die GSF wohl für ihre Recherchen gebraucht, wenn in der UdSSR tatsächlich wieder ein Atommeiler geplatzt wäre?

Im Jahre 2 nach Tschernobyl – und unter dem (Ein-)Druck der laufenden Skandale um Transnuklear und NUKEM – hatte die GSF zum Journalistenseminar „Brennstoffkreislauf“ geladen und das Podium hochkarätig besetzt. Doch die Atomwissenschaftler – allen voran der IAEO-Berater für internationale Sicherungsmaßnahmen, Adolf von Baeckmann aus Wien – gerieten schnell unter Legitimationsdruck. Selbst die Kolleginnen und Kollegen aus den Redaktionsstuben der in der Vergangenheit eher atomindustrie- freundlichen Medien, glaubten den Herrschaften aus dem Kernforschungszentrum Karlsruhe, der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt(PTB) und der Kernforschungsanlage Jülich kaum noch ein Wort.

Die Kaltschnäuzigkeit mit der die Referenten die „Zukunftsprojekte“ der Atomwirtschaft – Wackersdorf, Gorleben, Schacht Konrad – als unproblematische Auswege aus dem atomaren Entsorgungsnotstand vorstellen, forderte die Opposition der MedienvertreterInnen geradezu heraus. Schon in der Mittagspause wurde vom „Ende der Wissenschaftsgläubigkeit“ gesprochen, denn obgleich die Fragerunde erst auf den Nachmittag terminiert war, hatten die einzelnen Referenten mit den nachhakenden ZuhörerInnen mehr als nur zu kämpfen.

So mußte etwa Wolfgang Pfeiffer, Leiter der Hauptabteilung Dekontaminationsbetriebe im Kernforschungszentrum Karlsruhe, der über die Behandlung von schwach- und mittelradioaktiven Abfällen in den Karlsruher Anlagen referierte, im Anschluß an seinen Vortrag, der der Philosophie vom „Wir haben alles im Griff“ huldigte, eingestehen, daß die kontaminierten Abfälle, die von Fremdanlieferern nach Karlsruhe gebracht werden, keinerlei Eingangskontrollen unterliegen. Als die Journalisten dem armen Pfeiffer dann auch noch die Blähfässer unterschieben wollten, mußte Diskussionsleiter Haury eingreifen. Die Blähfässer wurden auf den Nachmittag verschoben.

Noch härter wurde dann der IAEO-Vertreter von Baeckmann attackiert, dessen Ausführungen zu den IAEO-Kontrollmöglichkeiten in Hanau in der Feststellung gipfelten, daß er – wegen der anhängigen Gerichtsverfahren – kein Wort zu Hanau sagen werde. Daß die IAEO-Kontrolleure nur das Verschwinden signifikanter Mengen von Plutonium (8 kg), Uran-235 in hochangereichertem Zustand (25 Kg) und Uran-235 in nicht-hochangereichertem Zustand (20 t) registrieren, rief im Auditorium einiges Unverständnis hervor.

Nachfragen, was denn mit klei neren Mengen von Kernbrennstoffen sei, die – zum Beispiel bei RBU und NUKEM – schon verschwunden seien, beantwortete von Baeckmann wie folgt: „Die Entdeckungswahrscheinlichkeit für die Abzweigung kleinerer Mengen kann geringer sein.“

Schwer unter Druck geriet auch der Vertreter der Physikalisch- Technischen Bundesanstalt(PTB), Eckart Viehl, der die sogenannten Typ-B-Behälter für den Transport radioaktiver Materialien anpries, die – von seiner Behörde – selbst mit einem Falltest aus neun Metern Höhe „durchgeprüft“ worden seien. Daß diese Typ-B-Behälter mit ihrem strahlenden Inhalt auch per Luftfracht in alle Welt versandt werden, rief dann bei den Zuhörern nur noch Kopfschütteln hervor.

Viehl hatte zum Abschluß des Vortrags-Marathons als Vertreter einer Bundesbehörde noch die Aufgabe, den Medienvertretern die Salzstöcke von Gorleben und die Eisenerzstollen des Schachtes Konrad schmackhaft zu machen. Doch die Stahlbehälter, mit denen das radioaktive Material einst in den Gorlebener Salzstock versenkt werden soll, seien nur für eine Dauer von etwa 60 Jahren als haltbar einzustufen. Da zum Beispiel Plutonium eine Halbwertszeit von 24.000 Jahren hat, könne davon ausgegangen werden, daß sich die Behälter vorher auflösen würden.

Doch das, so Manfred Paschke vom Kernforschungszentrum Jülich, sei nicht weiter schlimm, denn Plutonium sei als Alpha- Strahler nur „wenig strahlungsintensiv“. So richtig peinlich wurde es dann, als das Podium sich kollektiv um die Beantwortung der Frage herumdrücken wollte, ob das Plutonium, das einmal in der WAA-Wackersorf produziert werden soll, waffentauglich sei oder nicht. Erst nach wiederholtem Nachbohren der sachkundigen Journalisten waren die Wissenschaftler, die wohl den Dissenz mit den Aussagen der bayerischen Staatsregierung fürchteten, bereit, der Wahrheit die Ehre zu geben. Eine sogenannte schmutzige Bombe, die könne man schon bauen, „aber das will doch niemand machen, hier in der Bundesrepublik“.