Das Plutonium und die Allianz des Schweigens

Streit um die verschwundene Hauff-Akten ist ein Verwirrspiel / Weder SPD noch CDU wollen Glasnost im Hanauer Bunker / Tonnenweise Plutonium unter strengster Geheimhaltung / Untersuchungsausschuß darf sich derweil an Milligramm-Mengen abarbeiten  ■ Aus Bonn Charlotte Wiedemann

Der sogenannte Atomskandal ist zu einem undurchsichtigen Gestrüpp mit Nebengleisen, Holzwegen und falschen Fährten geworden. Jüngster Nebenkriegsschauplatz in Bonn ist der Streit um die im Forschungsministerium bereits vor über einem Jahr verschwundenen Orginalakten aus der Amtszeit von Volker Hauff.

Die Unterlagen, die in Kopien noch vorhanden sein sollen, betreffen die Abstimmungen in den Jahren 1978 bis 1980 mit dem damaligen Innenminister Baum über den Bau des Plutonium-Bunkers bei ALKEM.

Nun ist es durchaus uninteressant, wohin die Orginal-Akten gelangt sind, was dabei vielleicht „verloren“ ging und wer daran ein Interesse hatte. Man kann die CDU-Attacke auf Hauff auch als Warnschuß verstehen: Aufgrund der Leichen im eigenen Keller können die Sozialdemokraten im Untersuchungsausschuß zum Wohlverhalten erpreßt werden. Gegenüber der Öffentlichkeit ist dieser Streit zwischen SPD und CDU um die Bunker-Akten jedoch eher ein Verwirrspiel: Denn beide Seiten haben in der Vergangenheit bewiesen, daß sie nicht das mindeste Interesse an einer tatsächlichen Aufklärung des Themas haben.

Der Inhalt des Plutonium-Bunkers, der ein Lager unter Bundesaufsicht und ein ALKEM-Fir men-Lager beherbergt, gehört zu den bestgehütesten Geheimnissen der Republik.

Keine Antwort im Bundestag

Erst vor wenigen Wochen, als im Bundestag der Untersuchungsausschuss eingesetzt wurde, scheiterte ein Versuch der Grünen, dieses Geheimnis zu lüften, an der großen Koalition der übrigen Parteien. Der Antrag der Grünen forderte die Regierung auf, die Öffentlichkeit über die Menge und Qualität des Plutoniums im Hanauer Bunker zu informieren und eine eigenständige Überprüfung durch die Bundestagsparteien sicherzustellen.

Volker Hauff, in dessen Amtszeit als Forschungsminister der Bunker angelegt wurde, hob wie die Kollegen von CDU/CSU und FDP die Hand dafür, daß das Glasnost-Begehren der Grünen gar nicht erst auf die Tagesordnung kam. Die SPD plädierte dafür, das heikle Thema in den Untersuchungsausschuß zu verlagern. Wenig später verweigerte Minister Riesenhuber bei einer nicht- öffentlichen Sitzung des Forschungsausschusses erneut die Antwort darauf, was in dem weltweit größten Spaltstoff-Lager einer Nicht-Atommacht eigentlich liegt.

Die Firma Alkem hat eine Umgangsgenehmigung für bisher 460 Kilo Plutonium, die beim Umzug in den Firmenneubau voraussichtlich auf 2,5 Tonnen erhöht wird. Ungefähr diese Menge, so äußerte der damalige Bundesumweltmini ster Wallmann vor Jahresfrist verschwommen, läge in dem Bunker einschließlich des Bundes-Lagers bisher bereit.

Der Bereich des Plutoniums in bundeseigener Verwahrung ist von dem Bereich des Alkem-Lagers teilweise nur durch einen Pinselstrich auf dem Fußboden getrennt. Daß sich zwischen beiden Sektoren ein andauernder Materialfluß abspielt, wird vom Forschungsministerium nicht bestritten.

Über die Qualität des Plutoniums im Bundeslager gab Riesenhubers Spaltstoff-Referent Randl im Ausschuß jetzt lapidar zu Protokoll, der Stoff stamme nur aus deutschen Atomkraftwerken und dort entstünde „kein reines Plutonium 239“. Diese schwammige Formulierung sagt noch nichts über die Frage der Waffentauglichkeit: Selbst das feinste Waffenplutonium ist kein 100prozentig „reines“, und „schmutzige“ Bomben lassen sich ohnehin mit weitaus niedrigerem Reinheitsgehalt von Plutonium 239 bauen.

Tauziehen um Bunkerkontrolle

Nicht nur gegenüber Parlament und Öffentlichkeit wird das Wissen über den Hanauer Bunker wie ein militärisches Geheimnis gehütet. Auch mit der internationalen Atombehörde IAEO gibt es seit Jahren ein Tauziehen wegen der zu vereinbarenden Kontrollen. Wie im Forschungsausschuß jetzt bestätigt wurde, gibt es für das Bundes-Plutonium-Lager immer noch keine bindende Kontrollvereinbarung mit Euratom und IAEO. Diese Vereinbarung, ein sogenanntes „facility attachment“, definiert Materialfluß und Kontrollmöglichkeiten einer Nuklearanlage und wird für jede einzelne Anlage an das zum Anhang des Verifikationsabkommens für den Atomwaffensperrvertrag angehängt.

Für den Firmenbereich von ALKEM wurde die erste Kontrollvereinbarung 1982 für ungültig erklärt: Die herkömmlichen Überprüfungen scheiterten an den undurchschaubaren Zuständen in der Firma. In einem ALKEM-Papier liest sich das so: „Man sah sich mit der merkwürdigen Situation konfrontiert, daß trotz der ständigen Anwesenheit der IAEO-Inspektoren (...) die Internationale Atombehörde feststellen mußte, daß das generelle Inspektionsziel der rechtzeitigen Entdeckung einer Abzweigung nicht erreicht werden konnte.“ Nach vierjähriger Verhandlungsdauer entstand auf Druck der USA erst 1986 wieder eine Kontrollvereinbarung, die von der IAEO aber nur als provisorische akzeptiert wurde.

Als Erklärung für diesen Zustand wurde den Parlamentariern im Forschungsausschuß aufgetischt, Euratom und IAEO hätten sich bisher wegen der „Komplexität der Prozesse im Plutoniumlager“ nicht einigen können. Der dies sagte, muß es besser wissen: Ministerialdirigent Loosch aus Riesenhubers Behörde gehört seit 16 Jahren dem ständigen Aufsichtsorgan der IAEO, dem Gouverneursrat, an und ist derzeit sogar Vorsitzender des Gremiums. Was Loosch bestreitet, ist in den USA als Erklärung für das jahrelange Tauziehen zu hören: Nicht die beiden Atom-Agenturen seien die Kontrahenten, sondern IAEO und US-Regierung einerseits und die Bundesregierung im Verbund mit Euratom andererseits.

David Albright, Proliferations-Experte der „Federation of American Scientists“ berichtete Ende 1986 nach Gesprächen mit US-Offiziellen in einem Report, daß sich Bundesregierung und ALKEM-Vertreter weigerten, auf die IAEO-Vorschläge einzugehen. So wolle die IAEO zum Beispiel häufigere Inspektionen des Plutonium-Bunkers durchsetzen als die Bundesregierung bereit sei zuzulassen.

Was hier mühsam an Fakten sichtbar wird, reicht zumindest für tiefes Mißtrauen: Im Hanauer Bunker liegen Plutoniummengen, die teilweise waffentauglich sind, deren Umfang für die zivile Nutzung wirtschaftlich keinen Sinn macht und deren Kontrolle seit Jahren ein internationales Streitthema ist. Es drängt sich die Frage auf, wie die Untersuchungsausschüsse in Bonn, Wiesbaden und Straßburg den Verdacht auf Bruch des Atomwaffensperrvertrags klären sollen, wenn sie zwar hinter Milligramm-Mengen von Plutonium herlaufen dürfen, aber die Tonnen im Herzen des Atomstaats hinter dem Schleier der Geheimhaltung bleiben?