: Hollywood in Berlin
■ Reinhard Hauffs Gripstheater-Verfilmung „Linie1“, eröffnete gestern die 38.Berliner Filmfestspiele
„Linie 1“ ist ein deutsches Musical, die Betonung liegt auf deutsch. Reinhard Hauffs Gripstheater-Verfilmung eröffnete gestern die Berlinale. Der Rest kommt allerdings zu großen Teilen aus den USA. Woody Allen beginnt heute den Reigen, Steven Spielberg wird ihn am 23.Februar beenden. In das Geschrei über die Invasion der Major-Companies mag die taz allerdings nicht mit einstimmen. Schließlich ist es ein offenes Geheimnis, daß die Amerikaner meist die besten Filme machen. Die Lieblinge des Berlinale-Publikms sind sie sowieso seit langem.
Eigentlich wollte Guilhelmo Biraghi wieder Biennale-Chef in Venedig werden. Aber er hatte das falsche Parteibuch und schimpfte zuviel auf die katholische Kirche. Eigentlich sollte Gert Fröbe Jury- Vorsitzender in Berlin werden. Aber es war ihm doch zuviel Arbeit. Jetzt kommt Bitaghi nach Berlin; eine andere Kino-Berühmtheit ließ sich zwei Wochen vor Beginn wohl kaum noch auftreiben. Festival-Chef Moritz de Hadeln verkauft das natürlich anders und spricht von einer Hommage an die Zunft der Filmkritiker. Denn Biraghi ist zufällig einer.
Auf der Pressekonferenz prahlt de Hadeln mit den Wettbewerbsfilmen: Besonders stolz ist er auf die großen Namen aus den USA. Steven Spielberg kommt mit Empire of the Sun, Woody Allen mit September, außer Konkurrenz natürlich. Die Giganten brauchen sich nicht zu messen. Auch nicht Taylor Hackfords Chuck Berry- Film, auch nicht Oliver Stone, der nach dem Vietnamkrieg nun den Börsenkrieg verfilmt hat, in Wallstreet. Fast alle diese Filme kommen demnächst ins Kino, ebenso Nuts mit Barbra Streisand, Broadcast News mit William Hurt und Holly Hunter und Alex Cox Nicaragua-Film Walker, der in den USA schon jetzt als schlechtester Film der Saison gehandelt wird. So gesehen ist das diesjährige Hauptprogramm nichts anderes als eine gigantische hochsubventionierte Pressevorschau; die Berliner Stadtzeitungen Tip und Zitty organisieren sowas regelmäßig, bloß ein paar Nummern kleiner.
Auch die Russen sind wieder da. Seit Glasnost betonen die Festivalmacher die „Brückenfunktion“ der Berlinale zwischen Ost und West. Aber es ist wohl weniger den Berlinern als vielmehr Gorbatschow zu verdanken, daß auf den westeuropäischen Festivals neuerdings so viele sowjetische Filme zu sehen sind. Im Wettbewerb dieses Jahr Aleksandr Askoldovs Kommissarin und Andrej Michalkov-Kontschalovskijs Geschichte von Asja; beide Filme wurden bereits in den sechziger Jahren gedreht, hatten aber erst im letzten Jahr Premiere.
In der Sparte „Panorama“ wird dazu eine Retrospektive von baltischen Dokumentarfilmen ge zeigt, unter anderem Juris Podnieks Ist es leicht, jung zu sein. Der Film über Jugendliche in der Sowjetunion versammelt alle, deren Existenz bisher offiziell verschwiegen wurde: Punks und Avantgardefilmer, Rowdies, Sektenangehörige, Heavy Metal- Fans, Drogenabhängige, aber auch brave Medizinstudenten. In Moskau wurde er letztes Jahr heftig diskutiert. Besonders brisant verspricht die Vorführung des DDR-Films Einer trage des anderen Last von Lothar Warneke zu werden. Er erzählt von der Freundschaft eines evangelischen Vikars mit einem Volkspolizisten und führt die behutsame Annäherung von Kirche und Marxisten in der DDR vor Augen. Die Ereignisse der letzten Wochen, die Abschiebung von Krawczyck und den anderen, haben Warnekes Botschaft längst eingeholt.
Agnes Varda ist Jane-Birkin-Fan. Während sie einen Dokumentarfilm über die Schauspielerin drehte, kam ihr die Idee zu einem Spielfilm, Kung Fu Master, dessen Produktion sie kurzerhand einschob. Normalerweise ist es umgekehrt. Beide Filme laufen als Doppelprogramm im Wettbewerb. Aus Frankreich kommt außerdem Andrej Wajdas Dostojewski-Verfilmung Die Dämonen, die ihm hoffentlich weniger kitschig geraten ist als seine Chronik von Liebesgeschichten im letzten Jahr.
Die Deutschen haben in diesem Jahr nicht viel zu bieten. Außer Linie 1 sind im Wettbewerb Hark Bohms Yasemin über die Ausländerproblematik und Herbert Achternbuschs Wohin? vertreten, den de Hadeln unverhohlen als „elitären Film für die happy few“ bezeichnet. Im „Forum“ läuft Peter Kriegs Die Seele des Geldes, der von Geld, Schulden und Schuld handelt.
Das „Forum“ hat sich Indien vorgeknöpft, den größten Filmproduzenten der Welt. Insgesamt 14 Filme bieten einen Querschnitt vom „Mainstream“ bis zu den Experimentalfilmern; Satyajit Ray, der bekannteste indische Regisseur, stellt seinen letzten Streifen Ghare Baire vor; vorgesehen ist auch eine Podiumsdiskussion mit indischen Regisseuren und Kritikern.
Noch ein weiteres Paket hat das „Forum“ im Angebot: Eine Hommage auf den italienischen Volksschauspieler und Komödianten Toto.
Besonders stolz ist „Forum“- Chef Ulrich Gregor auf die Vorstellung der rekonstruierten Fassung von Pasolinis Große Vögel, kleine Vögel, die eine Szene enthält, in der Toto einen philosophischen Diskurs zum besten gibt. Pasolini fand sie zu schlecht und hatte sie rausgeschnitten, es ist zu vermuten, daß er recht damit hatte. Auch sonst ist die Auswahl des „Forum“s in diesem Jahr schwer verständlich: von jedem ein bißchen und nichts richtig. Gregor macht denn auch weniger für einzelne Filme Reklame, wie etwa für Yelen, einen Film des Afrikaners Souleymane Cisse, als für seine Pakete und für ein paar Zahlen. Acht Welturaufführungen, 22 Erstaufführungen außer halb des Herkunftslandes, den ersten vietnamesischen Film auf der Berlinale und den diesjährigen Längen-rekord hat er zu bieten: 9 Uhr ab Wien Westbahnhof dauert 7 1/2 Stunden und schildert die Fahrt eines Expreßzuges in Realzeit. Daß weniger die Qualität eines Films als vielmehr Informationsgehalt und Quantität zählen, ist eine schlechte Eigenschaft, mit der das „Forum“ dem Hauptprogramm in nichts mehr nachsteht.
Ob ein Film aus Korea oder den USA kommt, ob er von den Majors oder den Independents produziert ist, ob er verboten war oder einem nachgeschmissen wird: Bei der Auswahl für ein Filmfestival sollte das eigentlich keine Rolle spielen. Doch offenbar die Berlinale-Macher in anderen Kategorien schon lange nicht mehr denken. Christiane Peitz
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