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Frieren oder Asbestvergiftung

In der Krakauer Vorortsiedlung wehren sich Bewohner gegen die Asbestverkleidung ihrer Wohnungen / Ihre Initiative findet nur langsam Resonanz in der Öffentlichkeit / Während der Proteste gehen die Arbeiten weiter / Zu Polens Problemen mit der Wohnungsnot tritt jetzt die Not mit den Wohnungsbauprogrammen  ■ Aus Krakau Klaus Bachmann

Im äußersten Osten Krakaus, fast eine Autobusstunde vom Zentrum entfernt, liegt die Vorortsiedlung Biezanow: Riesige Wohnbunker, über hundert Meter lang, zehn Stockwerke hoch, beherbergen circa 14.000 Menschen. Wohnungen gleichförmig wie Bienenwaben hinter anonymen, abweisenden Fassaden. „Eine paranoide urbanistische Vision“, nannte das eine Lokalzeitung. Und doch hat sich einiges geändert in Biezanow, hat die Siedlung hinter den grauen Fassaden an Anonymität verloren, sind sich die Bewohner näher gekommen. „Biezanow ist nicht mehr wie früher“, sagt Maria P. Sie wird heute oft auf der Straße angesprochen. Jemand hat eine wilde Müllkippe entdeckt, ein anderer hat private Sorgen. „Könnt ihr da nicht was machen“, heißt es oft. „Ihr“, das sind die Begründer einer Art Bürgerinitiative in Biezanow, zu denen Maria P. gehört. Eine Initiative, die entstanden ist aus dem spontanen Protest der Anwohner gegen den Einbau von Asbestdämmungen.

In gewisser Weise geben die Ereignisse in Biezanow die Probleme Polens mit dem Wohnungsbau wie in einem Brennspiegel wieder: Biezanow ist eine Neubausiedlung mit all den Nachteilen, die das in Polen gewöhnlich so mit sich bringt. Schlamperei, Materialmangel und Zeitdruck führten dazu, daß die Wände zu dünn, das Dach undicht, die Wärmedämmung unzureichend sind. Im Winter ist es dann eiskalt, und an den Wänden frieren Schimmelpilze fest. 1982 wurde daher ein landesweites Programm zur Förderung von Wärmedämmaßnahmen verabschiedet, das den Wohnungsbaugenossenschaften günstige Kredite garantierte. Die Genossenschaft in Biezanow beteiligte sich daran und beauftragte zwei Firmen mit dem Einbau von Wärmedämmungsplatten in allen Gebäuden der Siedlung.

„Im Herbst 1985 bemerkten wir zum ersten Mal, daß die ganze Aktion mit Asbestzement durchgeführt wurde. Niemand wollte uns glauben, daß ausgerechnet zu einer Zeit, wo in der ganzen Welt Asbest als krebserregend aus dem Verkehr gezogen wurde, unsere ganze Siedlung damit eingedeckt werden sollte“, erinnern sich Mitglieder der Initiative. „Zumal das Ganze auf höchst unsachgemäße Weise geschah. Die Platten waren überhaupt nicht gegen Erosion geschützt. Der saure Regen löste die Schutzschicht auf, Regen drang ein, und im Winter platzte das Ganze im Frost dann auf. Überall lagen Asbestabfälle herum, mit denen dann die Kinder spielten und das Zeug einatmeten.“

Auf einer Diskussionsveranstaltung mit Vertretern der Genossenschaft brachten besorgte Eltern das Problem zur Sprache. „Der Vorsitzende erklärte uns, da gäbe es nichts zu diskutieren, das sei von oben abgesegnet und wir sollten da keinen Popanz aufblasen.“ Mit ähnlichen Reaktionen wurden die Anwohner noch öfter konfrontiert – entweder wurden sie ignoriert oder als hysterisch abqualifiziert. Doch bald ließ sich das Problem nicht mehr unterdrücken. Auf seinen Adventsbesuchen stellte der Pfarrer von Biezanow fest, daß sich immer mehr Bewohner Sorgen zu machen begannen. Er erwähnte das Problem in einer Predigt. Das Ergebnis war, daß während der Messe 1.420 Besucher eine Petition an den Bürgermeister von Krakau unterschrieben, in der sie den Abbruch der Arbeiten forderten.

Mit dieser Forderung befand sich die Wohnungsbaugenossenschaft, wie es später eine Krakauer Zeitung beschrieb, „zwischen Hammer und Amboß“. Denn auch nur eine Unterbrechung der Arbeiten hätte unweigerlich zu einem Verlust der Vorzugskredite geführt, aufgrund derer die Arbeiten überhaupt aufgenommen werden konnten. Um den Abschlußtermin 1987 einhalten zu können, wurde während der ganzen Auseinandersetzung mit den Bewohnern mit Hochdruck weiter gearbeitet. Dies, obwohl die Gefährlichkeit von Asbest nie ernsthaft in Zweifel gezogen wurde, obwohl das zuständige Institut für Bautechnik Mitte 1986 die Genehmigung für die Verwendung des umstrittenen Materials zurückzog. Die widersprüchliche Haltung der Behörden brachte der Leiter der staatlichen Hygieneanstalt in Krakau, Stefan Maziarki, zum Ausdruck. In Warschau erklärte er den protestierenden Anwohnern der Anielewicz Straße, müsse man Asbest unverzüglich aus dem Verkehr ziehen. In Krakau erklärte er: „Als Arzt kann ich sagen, nieder mit dem Asbest, aber ich trete im Namen einer Institution auf, und da muß ich die Konsequenzen einbeziehen.“ Und die sehen laut dem Krakauer Vizebürgermeister so aus: „Im ganzen Land wurden an 18.155 Gebäuden technische Mängel festgestellt, an 11.500 davon sind die Wände vereist, in Krakau ist das bei 400 von 500 Gebäuden der Fall. 1985 wurden 65 Prozent der dadurch notwendig gewordenen Wärmedämmungen mit Asbest durchgeführt.“ Allein in Biezanow kamen nach Abschluß der Arbeiten auf 14.000 Menschen in 3.500 Wohnungen insgesamt 187 Tonnen Asbest. Kostenpunkt: 660 Millionen Zloty. Und Biezanow ist nur ein Fall unter vielen.

In Lodz arbeitet eine asbesterzeugende Fabrik mitten in einer Wohnsiedlung, umgeben von spielenden Kindern, und bläst den Asbeststaub bis in die Wohnungen der Anlieger. In Szcucin bei Tarnow wurde eine Firma wegen gedankenloser Entsorgung von Asbeststaub und –schlamm auf eine ungesicherte Müllkippe zu 29 Millionen Zloty Strafe verurteilt. Dadurch dem Konkurs nahe, kam ihr das Bauministerium zu Hilfe. „Eine Einstellung der Produktion würde zu einer Desorganisation gerade des ländlichen Bauwesens führen“, argumentierte der Minister. Hier liegt der Hund begraben: Wirtschaftliche Sachzwänge siegen über die ärztliche Vernunft. Und für die Bewohner heißt die entscheidende Frage nur allzu oft: vergiften oder frieren? Denn für die Anwendung alternativer Dämmethoden fehlen Material, Geld und Zeit.

Doch die Angst vor dem Asbest ist oft noch größer als der Wunsch nach einer warmen Wohnung. Obwohl die Innentemperatur im letzten Winter in Warschau manchmal unter zehn Grad lag, wehren sich die Bewohner der Anielewicz- Straße gegen die Installierung von Asbest-Dämmungen, und zahlreiche Zeitungen unterstützten die Proteste indirekt durch lange Berichte über die Gefährlichkeit des krebserregenden Stoffes.

In Krakau wunderten sich die Mitglieder der Anti-Asbest-Initiative lange Zeit über das Schweigen der Presse. Lange Artikel lagerten in den Schubladen der hellhörig gewordenen Journalisten der Gazeta Krakowsky und des Dziennik Polski. Schließlich erfuhren sie aus der örtlichen Parteizentrale der PZPR, daß der Bürgermeister diese Praxis deckte. Doch über 1.400 Unterschriften und ein geharnischter Protest bei General Jaruzelski über die Untä tigkeit der Behörden ließen sich nicht länger unter den Teppich kehren. Schließlich hatten sich die Anwohner gar an den Sejm gewandt, hatten alle zuständigen Behörden mit Protesten und Beschwerden regelrecht überschwemmt. Für den harten Kern der Initiative kein ungefährliches Unternehmen: „Wir sahen uns der Gefahr gegenüber, daß man uns womöglich als illegale, nicht registrierte Gruppe einfach einsperrte. Nichts leichter als diese Aufrührer, die da herumwühlen und alle Welt verrückt machen, zu isolieren und einzusperren. Daher entschlossen wir uns, in den ökologischen Klub Krakau, eine anerkannte und registrierte Institution, einzutreten.“ Indessen entdeckte die Krakauer Presse das Thema doch noch und begann, sich für die Arbeitsbedingungen in Biezanow zu interessieren. „Ein skandalöses Durcheinander herrscht auf der Baustelle“, befand die Gazeta Krakowsky, „herumliegende Asbeststücke auf den Straßen, den Wiesen und den Sandplätzen. Der Asbest-Staub steigt bis in die Wohnungen.“ Eine Arbeitsinspektion ergab 1986, „daß die Bauarbeiter eine erschreckende Unwissenheit über die Gefährlichkeit von Asbest und den sachgerechten Umgang damit an den Tag legten“. Ein Jahr danach hat sich kaum etwas daran geändert. Zu diesem Schluß kam auch der zuständige Umweltreferent, der Biezanow nach einen Gipfeltreffen von Genossenschaft, Anwohnern und Bürgermeister besuchte, „die Genossenschaft konnte die Entfernung der gefährlichen Teile nicht nachweisen“, schrieb er an die Kommune, „sie hat die Bewohner nicht ausreichend informiert“. Noch immer lägen einige hundert Kilo Asbest wild in der Landschaft herum. Für die Bürgerinitiative bedeuteten diese Berichte eine Art moralische Genugtuung. Weniger erfreut dagegen waren die Bauarbeiter, die auf Zusatzprämien gehofft hatten. Kristina P., eine der treibenden Kräfte der Initiative, konnte sich einmal nur in letzter Sekunde vor einem auf sie zurasenden Wagen in Sicherheit bringen, ein andermal wurde ihr Briefkasten bei einem Anschlag mit Silvesterkrachern in Mitleidenschaft gezogen.

Zufall oder nicht, einschüchtern lassen wollen sich die Leute von der Initiative nicht. In Biezanow hat man gelernt, sich zu wehren, und das hat seine Auswirkungen auch auf das Leben in der Siedlung selbst. Früher, so ist zu hören, war das Interesse für die Belange der Siedlung gering. Auf den Sitzungen des Siedlungsrats, der unter anderem den Genossenschaftsvorsitzenden wählt und kontrolliert, waren die Genossenschafts- und Parteileute unter sich, kaum jemand hatte Zeit und Lust, seine Rechte wahrzunehmen. „In Zukunft wird das anders ein“, meint Kristina P. Die Bewohner von Biezanow sind zusammengerückt. Den Weiterbau mit Asbest haben sie nicht verhindern können, nicht in Polen, nicht in Krakau. Während sie drinnen ihre Protestbriefe besprechen, gehen draußen die Arbeiten weiter. Aber aufgegeben wird nicht: „Notfalls gehen wir bis zur Weltgesundheitsorganisation.“

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