INTERVIEW
: Wider die Berührungsängste

■ West-Berliner Autonome diskutieren mit Theo Steegmann, 2. Betriebsratsvorsitzender bei Krupp-Rheinhausen, Georg Nassauer, Betriebsrat bei Siemens-Berlin und Karl Köckenberger, Solidaritätskomitee und Betriebsrat bei Krupp-Berlin

taz: Wie kommen Autonome dazu, mit Gewerkschaftern zusammen ein Komitee zu gründen und bewußt die konkrete Zusammenarbeit zu suchen?

Harald: Ich gehöre einer politischen Strömung innerhalb des autonomen Spektrums an, die die Position vertritt, daß nicht notwendig ein Widerspruch zwischen Arbeiterbewegung und sozialen Bewegungen besteht, sondern daß es möglich ist, zusammen an Widersprüche der Gesellschaft ranzugehen.

Volker: Innerhalb der autonomen Szene gibts das Interesse, immer wieder entlang der Konfliktlinie Kapital und Arbeit zu diskutieren. An Rheinhausen ist das jetzt wieder ganz deutlich geworden.

taz: Und was wollt ihr zu Rheinhausen in Gang setzen?

Harald: Von unserem Standpunkt aus übernehmen wir mit der Veranstaltung eine Aufgabe, die wir für gesellschaftlich notwendig halten. Nämlich zu Rheinhausen eine Diskussion anzuleiern und zu verbreitern, eine Diskussionsbrücke zu schaffen zwischen Kollegen und Gewerkschaftern in den Betrieben, Basisinis, sozialen Bewegungen und autonomen Bewegungen außerhalb der Betriebe.

taz: Aber es gibt doch wohl noch erhebliche Berührungsängste – und zwar auf beiden Seiten.

Harald: Klar, von den Autonomen aus herrscht ein ziemliches Mißtrauen gegenüber den Gewerkschaften aufgrund der Gewerkschaftspolitik der letzten 20 Jahre.

taz: Wie ist das mit den Berührungsängsten in Rheinhausen?

Theo Steegmann: Als die Besetzer aus der Hafenstraße zu uns nach Rheinhausen angefahren kamen, da waren die Berührungsängste schon ganz enorm. Das sind bei uns ja alles ganz normale Leute, die da kämpfen. Von der Radikalität her drängt sich schon eine Parallele auf, aber von der sozialen Schichtung her eben nicht.

taz: Heißt das, daß von Annäherung erstmal keine Rede sein kann?

Theo Steegmann: Es entwickelt sich da was. Bei den Leuten bei uns bricht grundsätzlich der Glaube ans soziale System auf, da sind sie auch bereit, sich zu radikalisieren. Daher gibts da auch ne größere Bereitschaft, sich mit anderen Konflikten zu beschäftigen, zum Beispiel Hafenstraße oder Kreuzberg. Diese Ebene von „Dat sind ja alles Chaoten“ ist ein bißchen aufgebrochen.

Volker: Vielleicht gibts jetzt die Möglichkeit, daß die Gewerkschaften andere soziale Bewegungen als gleichberechtigt neben den Betrieben anerkennen.

Theo Steegmann: Bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Jetzt ist erstmal was aufgebrochen. Aber ich sehe da schon eine Chance drin, daß sich die Leute jetzt eher auf ihre eigene Kraft besinnen.

taz: In Rheinhausen scheint sich ja etwas zu bewegen und wie stehts in Berlin mit den Berührungsängsten?

Georg Nassauer: Ich hab keine Berührungsängste. Ich mach konkret Mieterpolitik in Kreuzberg, weil ich Kreuzberger bin und zugleich Betriebsrat in Spandau bei Siemens. Wobei natürlich die Verhärtungen in Berlin insgesamt ziemlich stark sind. Dabei spielt die Aufwiegelei der Springer-Presse eine wichtige Rolle.

Karl Köckenberger: Da ist doch eine wahnsinnige Kluft. Ich bin in der IG Metall-Vertreterversammlung, und auch in der Kreuzberger Mieterversammlung. Bei mir persönlich gibts die Kluft nicht, aber bei den Kollegen im Betrieb und auch bei der IG Metall-Führung. Die haben große Schwierigkeiten damit. Das Verhältnis von neuen sozialen Bewegungen und Gewerkschaftsbewegung braucht Zeit. Dabei nützt es nichts, den Buhmann IG Metall, den Konflikt Führung-Basis aufzubauschen. DIE IG Metall gibt es nicht, die IG Metall, das sind wir, das bin ich.

taz: Na, dann scheint das ja alles nicht so schwierig zu sein...

Gerd Nassauer: Aber die Autonomen haben doch im Prinzip die gleichen Berührungsängste wie die Kollegen im Betrieb auch, und viele Kollegen haben ein festes Bild von den „Chaoten da“.

Harald: Das Problem ist doch, daß die Gewerkschaft die gesellschaftlichen Konflikte, Umwelt, Antifa und so, nicht aufgreift, sondern stur auf ihren engen ökonomischen Blickwinkel beschränkt bleibt. Deswegen konnte sich überhaupt erst son Widerspruch zwischen den Bewegungen entwickeln. Was heißt hier Recht auf Arbeit? Wer was und für wen produziert – darum gehts. Interview: Till Meyer/Maria Kniesburges