DDR-Plan für das Jahr 1988: Keine Experimente!

Die DDR sträubt sich gegen die sowjetischen Pläne zur Umstrukturierung des EG-Pendants „Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe“ (RGW) / 1988 „Schicksalsjahr“  ■ Von Jürgen Schulz

Das Kommunique der Staats- und Parteichefs des Ostblocks im Anschluß an ihr Gipfeltreffen vom Januar 1987 umfaßte lediglich sieben Sätze. Erst im nachhinein zeigten sich die beteiligten Politiker gesprächiger: Honecker lobte die Gesprächsinhalte, die „von geradezu historischer, fundamentaler Bedeutung“ seien; Bulgariens Todor Zivkov orakelte, „daß die sozialistischen Länder vor einer erbarmungslosen Alternative stehen: entweder Spitzenpositionen in der wissenschaftlich-technischen Revolution und im Wirtschaftsbereich einnehmen oder stagnierend zu bleiben und mit einer wachsenen Anzahl akuter Probleme konfrontiert zu sein, die wahrscheinlich Krisensituationen hervorbringen werden“.

Die Zukunft des Rates für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW), ein Hauptthema der Moskauer Runde, hat mit Gorbatschows Reformplänen beträchtlich an Bedeutung gewonnen. Kaum war der Russe für mehr Eigenständigkeit der Betriebe, Abbau der Machtkompetenz in der Planungsbürokratie sowie effizientere Kooperation im RGW eingetreten, zogen die „Bruderländer“ nach. In Polen verkündete Jaruzelski (“Polen hat in den letzten 1.000 Jahren keine so glückliche Konstellation erlebt wie jetzt“) die 2. Phase seiner Wirtschaftsreform; in Bulgarien und Ungarn nutzte die Staatsführung das Signal aus dem Kreml dankbar für Umstrukturierungspläne ihrer Volkswirtschaften; selbst in der CSSR darf der Begriff „Reform“ wenigstens wieder verwendet werden. Nur Rumänien, der von Ceausescu malträtierte Staat, der Eigenständigkeit mit Rückständigkeit verwechselt, schert aus der Front der Befürworter aus. Und die DDR, der einstige Musterschüler der Sowjetunion? In dem gerade veröffentlichten Volkswirtschaftsplan 1988 halten es die DDR-Planer liebermit Adenauer als mit Gorbatschow: Keine Experimente!

1988, von der SED zum Schicksalsjahr des aktuellen Fünfjahresplans erhoben, wird eine Zunahme des produzierten Nationaleinkommens um 4,1 Prozent ins Auge gefaßt. Als Garanten für den Wachstumskurs in den ausklingenden 80er Jahren nennt das Partei-Papier die Sektoren Elektrotechnik/Elektronik (8,8 Prozent), Werkzeug- und Verarbeitungsmaschinenbau (7,8 Prozent) sowie den allgemeinen Maschinen- und Fahrzeugbau (5,1 Prozent). Die industrielle Warenproduktion soll mit der Steigerungsrate des Nationaleinkommens Schritt halten.

Dagegen wären die Einheitssozialisten mit einer – nominalen – Ausweitung des Außenhandelsumsatzes um ganze 2,6 Prozent zufrieden, was – real – einem Rückgang gleichkommt. Ohnehin stagnierte bereits im Vorjahr der Handel mit den sozialistischen Ländern, obgleich Gorbatschow große Hoffnungen in das RGW- Land mit dem höchsten Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner gesetzt hat.

Auf der 43. (außerordentlichen) RGW-Tagung Mitte Oktober 1987 in Moskau wollte der KPdSU-Chef dem Ost-Berliner seine „Perestroika“-Medizin zur „Umgestaltung des Mechanismus der Zusammenarbeit“ im östlichen EG-Pendant schmackhaft machen: Gorbi plädierte für eine verstärkte „Direktbeziehung“ zwischen Betrieben der beteiligten Länder, forderte eine größere Abstimmung der Wirtschaftspolitiken und Koordinierung der Volkswirtschaftspläne sowie die „Vervollkommnung der Ware- Geld-Beziehung“ (Kredite, Valuta-Finanzen).

Doch während selbst Bulgarien seit neuestem mit „Joint-Venture“-Angeboten im Westen auf Kundenfang geht, lehnten die Wirtschaftslenker der DDR ab. Sie lassen somit das Sowjetmodell einer beschleunigten ökonomischen Integration im RGW auflaufen: Gorbatschows Vorhaben zur „Schaffung eines gemeinsamen sozialistischen Marktes“ ist in weite Ferne gerückt. Mit ungewohnt eigenständigen Worten rechtfertigte ZK-Sekretär Dohlus das Vorgehen Honeckers: Es sei „größte Umsicht, sorgfältige Berücksichtigung der Standpunkte und Interessen der Partner“ geboten.

Die Strukturkonservativen in der DDR, dem einzigen Ostblockland auf relativem ökonomischen Stabilitätskurs, fürchten um die Früchte ihrer Planarbeit. Wohlwissend um die Führungsposition ihrer technologischen Grundlagenforschung im östlichen Wirtschaftsbündnis, wollen sie nicht den dringend notwenigen Modernisierungsschub für das befreundete sozialistische Ausland leisten.

So stimmte die SED-Delegation in Moskau mit Rumänien und Vietnam gegen die volle Konvertibilität der Währungen und den von der UdSSR vorangetriebenen Ausbau der „Direktbeziehungen“ zwischen Betrieben verschiedener RGW-Staaten: ein Affront gegen Gorbatschow, der sich besonders viel von einem intendierten Technologie-Transfer von der DDR in das unterentwickeltere Sowjetreich versprochen hatte.

Statt der Umbau-Reformen der östlichen Führungsmacht, forderten die offenbar selbstbewußter gewordenen einstigen Musterschüler, sollten die notorisch unzuverlässigen und zudem hochverschuldeten Handelspartner bestehende Verträge einhalten. Willi Stoph in Moskau: „Umgestaltung des Mechanismus unserer Zusammenarbeit – das heißt vor allem, die Vorzüge unserer sozialistischen Wirtschaftsordnung noch besser ausschöpfen, das heißt Sicherung einer hohen Planmäßigkeit, Äquivalenz und Zuverlässigkeit in den gegenseitigen wissenschaftlich-technischen und ökonomischen Beziehungen.“

Die DDR fürchtet allerdings nicht allein um ihre volkswirtschaftliche Planungshoheit, sondern auch das zweite Gesicht des reformerischen Januskopfes. Für Gorbatschow gehen ökonomische und politische Reformen Hand in Hand. Diese Art der Gleichmacherei lehnt die DDR-Führung jedoch strikt ab. Mit einem blumigen Vergleich wies Kurt Hager für seinen Herrn alle Forderungen nach einer Demokratisierung der DDR a la Sowjetunion zurück: „Würden Sie, nebenbei gesagt, wenn Ihr Nachbar seine Wohnung neu tapeziert, sich verpflichtet fühlen, Ihre Wohnung ebenfalls neu zu tapezieren?“