Erpressung mit NS-Akten unklar

■ Justiz bestätigt Ermittlungen schon seit 1983 / Kopien der NS-Akten in Ludwigsburger Zentralstelle

Berlin (taz) – Die Berliner Justiz ermittelt wegen des Diebstahls von NS-Akten aus dem amerikanischen Document-Center in Berlin (BDC) gegen dessen stellvertretenden deutschen Leiter sowie mehrere Antiquitäten- und Militaria-Händler in der Bundesrepublik. Sie hat aber bisher, wie der Berliner Justizpressesprecher Kaehne am Montag mitteilte, keine konkreten Erkenntnisse über die in einer Zeitung behaupteten Erpressungen von Prominenten wegen ihrer Nazi-Vergangenheit.

Der Leiter der Ludwigsburger Zentralstelle zur Verfolgung von Nazi-Verbrechen, Oberstaatsanwalt Streim, erklärte darüber hinaus auf Anfrage, es gebe über die meisten in NS-Straftaten verwickelten Personen auch Kopie-Akten in Ludwigsburg. Gegenüber der taz hegte Streim große Zweifel an den behaupteten Erpressungen. In der Ludwigsburger Zentralstelle sei in den Jahren 1965 bis 1972 eine systematische Aufklärung von Nazi-Verbrechen erfolgt. Außerdem würden – so der leitende Oberstaatsanwalt – die Akten des Document-Centers keine konkreten NS-Verbrechen festhalten. Verzeichnet seien darin Mitgliedschaften in der NSDAP, bei der SS, SA, den Einsatzgruppen, sowie Ort und Zeitpunkt des Einsatzes aber auch Auszeichnungen. Mithilfe dieser Personalakten und anderer nicht im Document-Center befindlicher Akten könnte zumeist erst die Beteiligung bestimmter Personen an Nazi-Verbrechen bewiesen werden. Streim schloß es aus, daß aus Ludwigsburg ebenfalls Akten verschwunden seien.

Bereits von 1983 bis 1986 hat es nach Auskunft Kaehnes ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt im Zusammenhang mit dem Verlust von Unterlagen aus dem Document-Center gegeben. Seinerzeit sei es nicht gelungen, diejenigen zu ermitteln, die die Unterlagen herausgeschafft hätten. Aufgrund eines anonymen Anrufs sind die Ermittlungen 1987 wiederaufgenommen worden. Kaehne bestätigte den Verdacht, daß eine „bisher unbekannte Zahl von Originalunterlagen in der Größenordnung von mehreren 10.000 Stück aus dem BDC über Militariahändler an Sammler zu Preisen von 200 bis 500 Mark und in Einzelfällen bis zu 5.000 DM pro Stück veräußert worden sind.“ Bei mehreren Durchsuchungen seien etwa 1.500 Urkunden wieder aufgefunden worden.

Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Berlin, Heinz Galinski, zeigte sich über das Verschwinden der Akten überrascht. „Weder amerikanische noch deutsche Stellen haben mich informiert. Das ganze Vorgehen ist höchst bedauerlich, zumal es sich um einen politischen Skandal handelt, der in seinen Ausmaßen noch gar nicht überschaubar ist“. Galinski sagte, er habe nie Zugang zu den Akten erhalten. Er vermutet, daß „es sich jetzt um einen Personenkreis handelt, der zu den Schwerstbelasteten gehört, und ein Interesse daran hat, daß die Akten nicht der Öffentlichkeit bekannt werden“.