INTERVIEW
: „Der Zugang spielt nur am Rande eine Rolle“

■ Der Historiker Götz Aly über die unübersichtlichen Akten im Berlin Document Center, seinen Einblick in das NS-Archiv und über die Faulheit der Kontrahenten des Historikerstreits, die dieses Archiv viel zu wenig nutzen

taz: Sie haben schon öfter im Berliner Document Center geforscht, welche Akten befinden sich dort, und wie sind sie archiviert?

Götz Aly: Ich habe dort etwa 700 Akten durchgesehen, und sie bestehen keinesfalls nur aus Karteikarten. Es sind – und das ist von Person zu Person verschieden – komplette Schriftwechsel. Manchmal bestehen die Akten einer Person aus mehreren Aktenordnern. Heißt das denn, daß man tatsächlich anhand dieser dort befindlichen Personalakten Leute erpressen kann? Das stimmt höchstens teilweise. Es gibt in diesen Akten sehr wohl Unterlagen, die unmittelbar Anlaß geben könnten zu Ermittlungsverfahren, und es gibt darin natürlich jede Menge Ehrenrühriges, nicht unbedingt in strafrechtlicher, aber doch belastender Weise. Der Begriff Personalakte ist in diesem Zusammenhang mißverständlich. Es handelt sich um personenbezogene Dossiers. Die Amerikaner haben riesige Bestände von Akten nach Namen auseinandergenommen und etwa Schriftwechsel, in denen irgendwelche Namen auftauchten, dann einzelnen Personen zugeordnet. Man darf sich also keine klassischen Personalakten vorstellen sondern unterschiedlich dicke Dossiers, in denen verschiedene Vorgänge enthalten sind. Etwa nichtbezahlte Mitgliedsbeiträge bei der NSDAP, ebenso die Vorschläge, wie man im Osten die Leute besser umbringen kann.

Wie erklären Sie sich, daß es solange gedauert hat, bis der Aktenklau bekannt wurde? Sind die Akten so unübersichtlich und schlecht sortiert?

Unter professionellen Archivgesichtspunkten ist es ein außerordentlich schlechtes Archiv. Die einzelnen Blätter dieser Akten – und es sind immer einzelne Blätter – liegen lose und nicht numeriert in Mappen. Dort hat kein Mensch einen Überblick darüber, wieviele Blätter in einer Mappe liegen. Ich glaube übrigens nicht, daß der Hauptgrund für die Aktendiebstähle Erpressung von Leuten ist. Geld gemacht worden ist durch das Verkaufen sogenannter Militaria. Das Himmler-Autograph oder das irgendeines Generals oder höheren SS- und Polizeiführers wird als Wert, als eine Handschrift, wie ein Heine-Brief auf dem Markt, für einen bestimmten Betrag verkauft.

Warum weigern sich die Bundesbehörden, das Archiv zu übernehmen?

Ein solches Archiv zu übernehmen ist sehr zweischneidig. Es müßte der Zugang geregelt werden und es würden die Probleme des bundesdeutschen Datenschutzes entstehen. Ich glaube, es ist an der Zeit, daß das Bundesarchiv zuständig wird und es offiziell übernimmt und dann auch vor allem nach professionellen Gesichtspunkten der Archivkunst diese bearbeitet.

Sind nicht einzelne Akten aus dem BDC seit Existenz dieses Archivs auch von ganz offizieller Seite beseitigt worden, soweit sie Prominenz betraf?

Das ist anzunehmen. Das Archiv ist ja nicht als historisches Archiv sondern als Herrschaftsinstrument von den Amerikanern aufgebaut worden. Es ist ganz selbstverständlich, daß sie dieses Herrschaftsinstrument nach ihren Bedürfnissen gestaltet haben.

Ist davon auszugehen, daß auch heute noch trotz Aktenklau und sonstiger Beseitigung noch jede Menge brisanten Aktenmaterials dort lagert?

Natürlich. Hunderttausende von wertvollen und einmaligen Dokumenten über die NS- Zeit, die zum Teil noch überhaupt nicht aufgefunden sind, weil es bei den 30 Millionen Namen die dort erschlossen sind, es ja auch unendlich viel Mühe macht, dort zu arbeiten. Im übrigen kann ich ihnen nur sagen, daß ich noch keinen der Kontrahenten des Historikerstreits – und zwar von beiden Seiten – dort jemals getroffen habe. Die Schwierigkeiten des Zugangs des Berliner Document Center spielen nur am Rande eine Rolle. Das Problem ist, es wird viel zuwenig genutzt, und das liegt auch an der Faulheit der Historiker. Interview: mtm