Debatte um den Neuanfang: Was tun, radikal?

Die radikal 133 – Zeitung für den brodelnden Untergrund ist erschienen / Schwerpunktthema: Diskussion um das neue radikal-Konzept / Scharfe Kritik autonomer und antiimperialistischer Gruppen an der „politikmackermäßigen“ Redaktion  ■ Aus Bonn Oliver Tolmein

Repression macht schön: Mit grellgelbem Hochglanz-Cover präsentiert sich die radikal 133 – Zeitung für den brodelnden Untergrund dem erlesenen Publikum. Nachdem ein schmales, vorbereitendes radikal-info in der autonomen und antiimperialistischen Szene kursierte und für Aufregung gesorgt hatte, ist die im Herbst 1987 aufgetauchte und sehr viel später in die taz geflatterte radikal 133 die erste und bislang einzige Ausgabe seit den großen Beschlagnahmeaktionen und der Anklagewelle 1986.

Auf 108 Seiten liefert radikal 133 einen bemerkenswerten Einblick in den Diskussionsstand vor den Schüssen an der Startbahn-West – und macht damit offensichtlich, wie weit zurückgeworfen die linksradikale Opposition durch die immer noch nicht aufgeklärten Ereignisse jener Nacht ist. Die Positionsbeschreibungen sind trotzdem nicht überholt. Manche Fragen stellen sich sogar sehr viel drängender, als zum Zeitpunkt der Erstellung dieser radikal-Ausgabe absehbar gewesen sein mag. Eine lautet: „Herrscht Krieg in diesem Land?“, was die radikal-Redaktion bestreitet, was etliche AntiimperialistInnen und Autonome aber ganz entschieden, wenn auch mit sehr unklaren Konsequenzen, bejahen – schließlich beanspruchen die Gefangenen der RAF ja Kriegsgefangenenstatus.

Bemerkenswert sind vor allem die ersten 30 Seiten, auf denen eine scharf geführte Zeitungsdebatte Platz findet. Die Redaktion der radikal skizziert zuerst eine kurze Geschichte der Zeitung, die sich seit der Verurteilung 1984 der angeblichen Herausgeber Michael Klöckner und Benny Härlin in die Illegalität abgedrängt sah: Schon in der ersten danach entstandenen Nummer, radikal 128, habe es zwei Konzepte gegeben: Die VertreterInnnen des einen Konzepts hätten die radikal vor allem als Diskussionsorgan begriffen, während es den anderen in erster Linie darum gegangen sei, die Zeitung als Nachrichtenmedium zur Absicherung und Neuorganisierung einer radikalen Linken zu benutzen. Die Beschlagnahmung der Nr. 132 hätte dann einen endgültigen Einbruch beider Konzepte bewirkt: die Nr. 133 verspreche deshalb keine Kontinuität, sondern sei „ein Neuanfang, von dem wir meinen, daß er nur durch die offene Auseinandersetzung verständlich und glaubhaft wirkt. Wir wollen zeigen, daß Repression uns nicht nur kaputtschlagen, sondern auch zu einer besseren organisatorischen Ebene führen kann“.

Der Neuanfang der radikal-MacherInnen verfolgt auch das Ziel, mit der Zeitung Kreise außerhalb der linksradikalen Szene anzusprechen – ein Ansatz, der in fast allen abgedruckten Stellungnahmen von autonomen und antiimperialistischen Gruppen auf scharfe Kritik stößt: „Was bleibt als Perspektive revolutionärer Politik, wenn die taz und die Welt gemeinsam mit Otto N. zum Gradmesser militanter Politik werden?.“

Ähnlich massiv wird in einigen der abgedruckten Papiere gegen eine Kritik der neuen radikal-Redaktion an bestimmten Anschlägen – vor allem gegen Kaufhäuser und das Nahverkehrs-Schienennetz – argumentiert: „Wir fragen noch immer, nach welchen Kriterien ihr militanten Widerstand als richtig oder falsch vorbetet ... Denn ihr ... bewertet unsere Aktionen als bescheiden, selbstüberschätzend und zu riesigen Luftschlössern aufgeblasen. Ihr habt wohl noch nie einen Masten umgelegt, und wenn, da bei keinerlei Angst, Mut und Stärke gespürt. Ihr wüßtet, daß dieses Gefühl einem real aufgeblasenen Luftschloß gleichkommt ... Wir messen eine Aktion nicht allein an der gesamtgesellschaftlich umwälzenden Wirkung, sondern auch an verarbeiteter Angst, revolutionärer Subjektivität und kollektiven Prozessen, die hier entwickelt werden und den Keim der Verhältnisse untereinander in einer neuen Gesellschaft in sich bergen.“

Unterstützung erhält die radikal-Gruppe lediglich in einem Papier, das überraschenderweise erst einmal ausführlich aus Lenins „Was tun?“ zitiert: „Unsere Bewegung leidet sowohl in ideologischer als auch in praktischer, organisatorischer Hinsicht vor allem unter ihrer Zersplitterung ... Eben in dieser Zersplitterung sind die tiefsten Wurzeln jenes Mangels an Festigkeit und jenes Schwankens zu suchen. Und der erste Schritt auf dem Weg zur Beseitigung dieses Mangels ... muß die Schaffung einer gesamtrussischen Zeitung sein“. „Diese Worte von Lenin fassen auch heute noch wichtige und wesentliche Fakten der Arbeit für eine revolutionäre Zeitung zusammen“, bekennen die AutorInnen des Papiers, um sich dann von bolschewistischen Organisationsstrukturen scharf zu distanzieren, denen sie nicht-hierarchische Strukturen als notwendiges Ziel entgegensetzen: „Der wichtigste Bestandteil einer solchen Organisierung ist eine Zeitung“.

Daß die Debatte über das „Wie weiter?“ der radikal so vehement und ausführlich geführt wird, hängt damit zusammen, daß die radikal die einzige Zeitung aus dem linksradikalen Spektrum ist, die als strömungsübergreifendes Diskussionsforum dient. Andere regelmäßig erscheinende Publikationen wie Schwarzer Faden, Aktion, zusammen kämpfen, unzertrennlich oder Arbeiterkampf berücksichtigen zwar auch Papiere und Stellungnahmen anderer Gruppen, sind aber recht eindeutig bestimmten Fraktionen im radikalen Spektrum zuzuordnen. Andere Zeitungen und Zeitschriften, wie die atom oder die radi-aktiv sind entweder thematisch enger gefaßt oder haben nur eine regional begrenzte Verbreitung. Diese Situation hat schon bei den „Libertären Tagen“ im Frühjahr 1987 dazu geführt, daß eine Zeitungsdebatte initiiert wurde, die das – nicht erreichte – Ziel verfolgte, ein gemeinsames Publikationsorgan zu konstituieren.

Neben dem Schwerpunkt „Zeitungsdebatte“ liefert die radikal 133 Stellungnahmen und Bekennerbriefe zur Flüchtlingspolitik und dem Widerstand dagegen, Papiere zum Ausnahmezustand in Westberlin während des Reagan-Besuches und zu militanter Politik in der Provinz.

Nach den Beschlagnahmungen und Prozessen wegen der radikal 132 ist die radikal im Buchhandel so gut wie nicht mehr erhältlich. Auch über die taz kann die radikal nicht bezogen werden! Dennoch ist radikal 133 zu haben. Interessierte können sie über die Adresse: Bluf, Van Ostadestr. 2330, NL – 1073 JN Amsterdam bestellen. Beachten sollte man/ frau dabei jedoch folgende Hinweise der radikal- Redaktion: „Wenn ihr uns erreichen wollt, müßt ihr in jedem Fall zwei Briefumschläge benutzen. Den ersten mit Post, Kohle innedrin, beschriftet ihr mit „z.K.“. Dieser verschlossene Umschlag wandert in den nächsten offiziellen (Umschlag) mit der Aufschrift: „s.o.“. Außerdem empfiehlt die radikal- Redaktion „Briefe aus dem Ausland abzuschicken“, da die Bundespost beauftragt sei, Post an die radikal-Tarnadresse auszusortieren. Die radikal kostet 5 DM plus Porto.