Wer hat Waldheim-Akten?

■ Der Historiker Gerald Fleming berichtet von verschwundenen Akten über Verhöre britischer Soldaten / Waldheim in Jugoslawien von Kriegskamerad belastet

Wien/Berlin (dpa/ap/afp/rtr) – Der britische Historiker Gerald Fleming hat eine dringende Aufklärung des Verschwindens von Dokumenten über die Verhöre von sechs gefangenen Mitgliedern eines britischen Kommando-Unternehmens in Griechenland im Jahr 1944 gefordert, an denen der damalige Oberleutnant Kurt Waldheim möglicherweise beteiligt war. Die Briten sollen später erschossen worden sein. Fleming ist Mitglied der Historiker-Kommission, die die Vorwürfe gegen Waldheim untersuchte. Ein Teil der Akten ist laut Fleming 1960 von den USA an die Bundesrepublik übergeben worden. Das britische Verteidigungsministerium hat zugegeben, daß es einen Teil der Dokumente im Jahr 1978 vernichtete. Nach Informationen der Londoner Times befindet sich die Akte mit den Verhören der britischen Soldaten im Nationalarchiv der USA in Washington. Robert Rhodes James, der früher im New Yorker Büro Waldheims arbeitete, als dieser UNO-Generalsekretär war, und der heute Abgeordneter des Unterhauses in London ist, forderte Thatcher auf, von den USA eine Kopie der Akte zu verlangen. Eine Ermittlung, die schon 1986 auf Initiative von Rhodes eingeleitet wurde, konnte damals den Beweis, daß Waldheim die Soldaten vernommen habe, nicht erbringen.

Auch die New York Times meldete sich gestern zu Waldheim zu Wort. Sie berichtete, daß dem österreichischen Bundespräsidenten die Einreise in die USA untersagt worden sei, weil – den Waldheim-Forschern längst bekannte – erbeutete deutsche Dokumente auf seine Mitwirkung an der Deportation von Jugoslawen in Zwangsarbeitslager nach Norwegen im Mai 1942 schließen ließen.

Daß Waldheim bei der Deportation von Jugoslawen mitwirkte, wird nun auch aus Belgrad bestätigt: die dort erscheinende Tageszeitung Politika veröffentlichte ein Interview mit einem seiner ehemaligen deutschen Kriegskameraden, einem Offizier namens Deepen Haye. Dieser behauptet allerdings, Waldheim sei bei Deportationen in Konzentrationslager der Utascha (kollaborierende kroatische Nationalisten) „behilflich“ gewesen. Deepen Haye lebt laut Politika auf der Nordseeinsel Spiekeroog. Im dortigen Telefonbuch ist allerdings kein Mann dieses Namens verzeichnet.

In Österreich selbst bröckelt die Unterstützung für Waldheim weiter ab. Am Mittwoch forderten erstmals zwei SPÖ-Abgeordnete, Albrecht Konecky und Günter Haiden, den Bundespräsidenten zum Rücktritt auf; der stellvertretende Vorsitzende der Salzburger ÖVP ist aus Protest gegen die „falsche Nibelungentreue“ seiner Partei zum Kurtl von seinem Amt zurückgetreten. Der SPÖ-Zentralsekretär Heinrich Keller bot – unter dem Eindruck des Votums des Industrieverbands für einen Rücktritt Waldheims – der ÖVP das Vorschlagsrecht für einen Nachfolger des Bundespräsidenten an. Und der „Republikanische Club – Neues Österreich“, dem etwa 400 Wissenschaftler, Publizisten und Künstler angehören, hat bis zum Rücktritt Waldheims wöchentliche Protestveranstaltungen angekündigt – jeden Sonntagnachmittag im Zentrum der Hauptstadt.