Freiheit aus der Sicht des Establishments

■ Das Opus des Briten Attenborough „Cry Freedom“ hat bei der Berlinale seine deutsche Uraufführung

Berühmt und geadelt wurde der Brite Richard Attenborough für seinen Film über Mahatma Ghandi. Der britische Berlinale-Beitrag über den in Südafrika ermordeten Schwarzen-Führer Steve Biko ist ebenfalls ein Monumentalfilm im Dienst der Freiheit, wie Hollywood sie versteht. In London wurde der Film bereits zu einem Riesenerfolg, die Zuschauer kamen massenweise weinend aus dem Kino. taz-Korrespondent Rolf Paasch war eher verärgert als gerührt: über Steve Biko erfährt man nichts.

Es sollte ein Film über Steve Biko werden. Statt dessen wurde es ein Film über die Bekehrung eines weißen südafrikanischen Liberalen zum „An-Hänger“ der schwarzen „Black Consciousness“-Philosophie. Anders, so läßt uns die britische Sunday Times wissen, sei das Biko-Projekt des Regisseurs Sir Richard Attenborough nicht zu realisieren gewesen. Ehe „Universal Pictures“ dem mit Hollywood-Oscars und mit einer „Knighthood“ der Queen geadelten Sir Richard die finanziellen Mittel für den Film zur Verfügung stellen wollte, be fragten sie den Durchschnittsamerikaner nach seinem Interesse an Südafrika: Ganze 12 Prozent hatten von der Apartheid gehört. Zuwenig für einen Erfolg am „Box Office“. Die weiße Filmindustrie brauchte einen weißen Helden, um einen Film über ihr schwarzes Subjekt machen zu können, weil sonst keiner hingegangen wäre. Glücklicherweise gab es im Fall Bikos einen solchen Helden, ja er drängte sich geradezu auf: Donald Woods, selbsternannter Freund des Ermordeten Schwarzenführers und Chefredakteur des Daily Dispatch, einer liberalen südafri kanischen Zeitung, in der auch gelegentlich Raum für die Ideen der „Black Consciousness“-Bewegung war.

Woods mutige Nachforschungen über die Todesumstände Bikos, der im September 1977 im Polizeigewahrsam einen gewaltsamen Tod fand, hatten den Journalisten Ende 1977 dazu gezwungen, seine Heimat zu verlassen, wollte er sich nicht zur Sprachlosigkeit zwingen lassen, sondern der Welt die Story von Steve Biko erzählen. Mit der Figur des Donald Woods und seiner dramatischen Flucht mit Kind und Kegel über die Grenze nach Lesotho hatten „Universal Pictures“ und Attenborough endlich das, was sie für ihre Verfilmung des Biko- Stoffes brauchten: die rassenübergreifende Männerfreundschaft und Fluchtszenen für den Thrillereffekt.

So ist der Film denn auch ein Zwitter aus dolbyumtöntem Dokumentar-Drama, Abenteuergeschichte, Thriller und Polit-Propaganda. Attenboroughs Südafrika ist wie sein Indien, authentisch, aber steril. Die wie Jünger um Biko gescharten Figuren des „Black Consciousness-Movement“ (BCM) sind von merkwürdig holzschnittartigem Charakter. Vom abendlichen Treffen in einer der illegalen Township- Kneipen, zu dem Biko Woods einlädt, bis zu der als Fußballspiel getarnten politischen Versammlung hinterlassen die Szenen trotz ihrer oberflächlichen Lebendigkeit einen faden Nachgeschmack. Biko muß das Einmaleins der „Black Consciousness“-Philosophie aufsagen, nach seiner im Film viel zu frühen Ermordung halt in Rückblicken. Dabei muß die ihm in den Mund gelegte Ideologie des BCM weit moderater klingen, als sie es wirklich war, weil sonst die schwarz-weiße Männerfreundschaft zwischen dem Township- Rebellen und dem unfreiwilligen Mitglied des weißen Establishments allzu unglaubwürdig würde. Bis zum Ende verharrt der Film in einer plakativen Schwarz- Weiß-Malerei: hier die unsympathisch-häßlichen Handlanger des Rassistenregimes in Uniform oder Richterrobe; dort die Schwarzen, die in der Vorbereitung ihres Kampfes keine Zwietracht kennen. Dazwischen wird die hilflose Rolle des Donald Woods (ausgezeichnet gespielt von Kevin Kline) noch am überzeugensten dargestellt. Von der dramaturgischen Fehlleistung, den schwarzen Hauptdarsteller schon zur Hälfte des Filmes ermorden zu lassen, erholt sich „Cry Freedom“ dagegen nicht.

Die Freundschaft

Doch waren Biko und der Chefredakteur überhaupt Freunde? Wenn an der Biko-Biographie des 43jährigen Donald Woods eines bemerkenswert ist, dann die Tasache, daß wir in ihr mehr über Woods selbst als über Biko erfahren. Das Kapitel zu Bikos „Black Consiousness“-Philosophie umfaßt ganze acht Seiten, fünf davon von Zitaten ausgefüllt. Sollte die Rolle Bikos, aus der Denzil Washington im Film noch das Beste macht, so unterbelichtet sein, weil Woods nicht viel mehr über ihn weiß, vielleicht gar nicht so eng mit ihm befreundet war, wie er dies auf dem Buchumschlag betonen läßt? Strini Moodley, ein ehemaliger enger Vertrauter Bikos und heute Journalist in Natal, behauptet denn auch, Biko habe Woods lediglich dazu benutzt, Einfluß auf die Kommentarspalte des Daily Dispatch zu gewinnen. „Wir sind empört darüber“, so Moodley, „daß Attenborough Woods flüchtige Bekanntschaft mit Steve zur Basis eines ganzen Kinofilms gemacht hat.“ Indem „Cry Freedom“ eine rassenüberschreitende Männerfreundschaft zum zentralen Thema erhebt, die vielleicht gar keine war, und gleichzeitig Wichtiges zum Verständnis der Figur Bikos ausspart, verpaßt der Film nicht nur die Chance, eine gewisse Form des schwarzen Widerstands gegen das Apartheidsregime angemessen dazustellen; er stellt auch noch Bikos zentrale Einsicht über die Rolle der kleinen Kaste liberaler Weißer in Südafrika auf den Kopf. „Den größten Fehler, den die schwarze Welt jemals begangen hat“, so Biko schon 1971, „war es anzunehmen, daß alle Gegner der Apartheid gleichzeitig Verbündeten seien.“ Während Biko offenbar daran glaubte, daß der Konflikt zwischen Weiß und Schwarz am Ende auch Liberale als Opfer fordern würde, wird hier der Inkarnation eines südafrikanischen Liberalen in Gestalt des Chefredakteurs Donald Woods die zentrale Rolle als weißem Überbringer der Botschaft vom schwarzen Widerstand zugewiesen, im Film und darüber hinaus: Woods schrieb noch ein Werk über „Das Filmen mit Richard Attenborough“ und Drehbuchautor Briley arbeitete sein schwaches Skript zu einem Roman um.

Die hemmunglose Selbstbeweihräucherung weißen Heldentums im Kampf der Schwarzen ist so peinlich, daß man sich an „Cry Freedom“ am besten wegen seiner eindruckvollen Schlußsequenz erinnert. Wenn Attenborough hier die Schergen Bothas in den Rücken davonlaufender Schulkinder zielen und zum Abschluß die Namen der Apartheids-Opfer über die Leinwand rollen läßt, entblößt der Film das Botharegime noch einmal als das, was es ist: die seit dem Dritten Reich am offensten praktizierte Form des Faschismus. Für die allerdings, die dies schon wußten und sich statt dessen Aufschluß über die Person Bikos, seine Philosophie des „Black Consciousness“ und die Komplexität des Apartheidsystems versprochen hatten, bietet „Cry Freedom“ nichts Neues. Rolf Paasch