Geißlers neues Deutschland

CDU-Generalsekretär Geißler hat die neuen deutschlandpolitischen Thesen der CDU vorgestellt / Ursache für Umdenken sei auch die Entwicklung in der UdSSR  ■ Aus Bonn Oliver Tolmein

Die CDU will ihre außen- und deutschlandpolitische Linie grundsätzlich revidieren. Einen entsprechenden Diskussionsentwurf, dessen deutschlandpolitischer Teil in den letzten Tagen für heftige Auseinandersetzungen gesorgt hat, hat CDU-Generalsekretär Geißler gestern der Presse vorgestellt. Anlaß für ihr Abrücken von der 1981 auf dem Hamburger Parteitag beschlossenen Linie ist neben den Reformen der sowjetischen Politik das nach Ansicht Geißlers wesentlich gewachsene Gewicht der BRD in der internationalen Politik. Dementsprechend ist das 40-Seiten Papier, das auf dem kommenden CDU-Parteitag mit eventuellen Veränderungen beschlossen werden wird, betitelt: „Unsere Verantwortung in der Welt“.

Von der Bundesrepublik wird in dem von einer 24köpfigen Kommission (in der außer Geißler auch Manfred Wörner, Volker Rühe und Kanzlerberater Teltschik mitarbeiteten) geschriebenen Papier festgestellt, werde ein eigenständiger Beitrag zur Bewältigung gemeinsamer Probleme erwartet. Vorgeschlagen wird eine „Atlantische Charta – NATO 2000“, die als Basis für die NATO-Politik den 20 Jahre alten Harmel-Bericht ablösen soll. Geißler begründete diese und andere militärpolitischen Neuorien tierungen vor allem damit, daß die „Verteidigungsbereitschaft“ der BRD erhalten bleiben müsse. Das sei auch deswegen erforderlich, weil aufgrund der Reform der sowjetischen Politik das Bewußtsein, daß der Westen verteidigungsbereit sein müsse, nachgelassen habe.

Geißler warnte davor, die Entwicklung in der Sowjetunion zu optimistisch zu sehen. Derzeit sei der Reformprozeß allein auf die ökonomische Entwicklung beschränkt. Es sei allerdings zu hoffen, daß er auch die gesellschaftliche Ordnung ergreife. Als „Lackmustest“ für die Ernsthaftigkeit der sowjetischen Entspannungsbemühungen bezeichnete Geißler ihre Bereitschaft, die „konventionelle Überrüstung“ abzubauen. Aber auch, wenn ein konventionelles Gleichgewicht zwischen Warschauer Pakt und NATO-Staaten erreicht sei, so der CDU-Genmeralsekretär weiter, sei es falsch, ein atomwaffenfreies Europa zu fordern. Atomwaffen auf westlicher Seite seien Kriegsverhinderunsgwaffen und müßten deswegen auf jeden Fall erhalten bleiben und modernisiert werden. Die Deutschlandpolitik der Union, über die es in den letzten Tagen Auseinandersetzungen vor allem mit der CSU gegeben hatte, thematisierte Geißler erst am Ende der Pressekonferenz. Die CDU halte selbstverständlich an dem Grundsatz der Einheit und der einheitlichen Staatsbürgerschaft fest – realistisch müsse aber festgestellt werden, daß die gewünschte „Einheit in Freiheit“ in absehbarer Zeit nicht zu erreichen sei. „Das ist kein tagespolitischer Pragmatismus – nur so und nicht mit exotischen Theorievorstellungen bleibt das Thema deutsche Einheit dauerhaft auf der Tagesordnung“, setzte Geißler an die Adresse der unionsinternen Kritiker hinzu.

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