Beuys – ein Aktionskünstler im Museum

■ Bislang größte Beuys-Ausstellung wurde gestern in Berlin eröffnet / Heftige Kritik im Vorfeld

Gestern begann, sozusagen außerhalb der Konkurrenz und vor dem offiziellen Start, der eigentliche Höhepunkt der „E 88 – Berlin als Kulturhauptstadt Europas“ – die größte bislang gezeigte Ausstellung von Werken Joseph Beuys. Im Vorfeld der Ausstellung gab es bereits heftige Auseinandersetzungen darum, ob der Künstler überhaupt ausgestellt werden kann, seine Werke dadurch nicht vielmehr verfälscht und ihrer künstlerischen Substanz beraubt werden. Heiner Bastian, Organisator der Ausstellung, nimmt zu diesen und anderen Fragen Stellung – dazu ein erster Eindruck von der Mammut-Schau.

taz:Sie haben mir im Vorgespräch gesagt, daß Sie auf den ganzen Rummel im Vorfeld nicht mehr eingehen würden.

Heiner Bastian: Ich habe an einer Diskussion in Darmstadt im Dezember 1987 zum Problem des „Darmstädter Blocks“ (siehe nebenstehenden Kasten) teilgenommen und mich danach nicht mehr dazu geäußert; ich habe auch den Text von Johannes Stüttgen, der in Ihrer Zeitung erschienen ist, nicht gelesen. Ich möchte mich an dieser Polemik nicht beteiligen und möchte an dem gemessen werden, was meine Arbeit ist, nämlich diese Ausstellung, die ich zu verantworten habe.

Nach welchen Kriterien gehen Sie vor?

Nach dem Tod von Joseph Beuys muß man einen sehr formalen Weg suchen, das heißt man kann nicht anfangen zu überlegen, wie das der Künstler selbst gemacht hätte. Das wäre ein falscher Weg, denn Joseph Beuys hätte es mit Sicherheit ganz anders gemacht. Man muß sehen, daß man klare ikonographische Zusammenhänge herstellt, die chronologisch vertretbar sind. Und daß die Räume auch eine bestimmte Klarheit haben. Ich bin davon ausgegangen, daß die Arbeiten eine sehr klare Sprache haben und für sich sprechen.

Wie stehen sie zum Problem der einmaligen authentischen Zusammenstellung von Beuys selber? Es gibt die Auffassung, daß Beuys seinen Objekten eine bestimmte Zusammenstellung gegeben hat, die dann auch die Einmaligkeit und Authentizität ausmacht.

Ich kann doch nur Werke von Beuys zeigen, also Skulpturen, Objekte, Vitrinen und Installationen, die bereits aus anderen Orten in festgelegter Gestalt kommen und sie so vorstellen. Wenn ich Stüttgen in Darmstadt richtig verstanden habe, dann geht es wohl darum, daß er einen anthroposophischen Begriff wie „Substanzverlust“ verwendet. Das ist doch nicht die Botschaft von Beuys, daß wir alles an einem Ort stehen lassen und nichts mehr bewegen und anfassen. Das hätte zur Konsequenz zwei Arten von Kunstwerken, nämlich auf der einen Seite wunderbare Werke und auf der anderen zweitklassige, die schon mal transportiert worden sind. Ein Beispiel: „Zeige Deine Wunde“ muß in München aus Platzgründen bei anderen Ausstellungen im gleichen Haus auf- und abgebaut werden. Man müßte dann sagen: das hat jetzt schon jemand angefaßt und darum ist die Substanzaura verloren. Die Aura eines Werkes gehört zum Kunstwerk, aber sie ist nicht ihr ganzes Sein. Diese Diskussion halte ich für vollkommen überflüssig.

Bazon Brock berichtet von Beuys kategorischer Erklärung, „daß der Werkcharakter seiner Aktionen nicht im Sinne verselbständigter künstlerischer Objekte ausgestellt werden dürfe.“

Aus meiner Kenntnis und der Arbeit mit Joseph Beuys muß ich sagen: Das Werk existierte, und er hat sich zunehmend gesellschaftspolitischen oder –kritischen und zivilisationskritischen Fragen gewidmet, die die Zukunft der Menschheit betreffen. Aber gleichzeitig war er doch ein Bildhauer, der die zweite Hälfte dieses Jahrhunderts vehement und entscheidend mitgeformt hat. Oft hat Beuys nach den Aktionen den Werken ein endgültiges Gesicht gegeben. Dies ist verbindlich, natürlich auch für mich. Man muß zwischen einer tatsächlichen und einer virtuellen Bedeutung unterscheiden. Wir stellen nur das aus, was Beuys in den endgültigen Zustand gebracht hat.

Fanden Sie, daß Beuys in Deutschland zu wenig ausgestellt ist, oder warum fanden Sie es an der Zeit, so kurz nach dem Tod eine Auseinandersetzung...

Die Ausstellung war nicht meine Idee, ich wurde gefragt. Eine Voraussetzung war, daß ich mir den Gropius-Bau mehrere Male angesehen habe und ich mir vorstellen konnte, daß man es in diesem Bau auf sehr natürliche Weise machen kann.

Ist jetzt der Zeitpunkt, an dem man die Arbeiten noch einmal zusammentragen kann?

Viele der Leihgeber haben das getan, weil sie wußten, daß ich diese Arbeit mit Beuys zehn oder zwölf Jahre zusammen gemacht habe und daß ich doch einigermaßen im Umgang damit vertraut bin. Viele Sachen sind sehr empfindlich und man muß eine ungeheure Infrastruktur dafür entwickeln, um sie sorgfältig, maßgeschneidert, jedes kleine Stück, zu transportieren. Also der Aufwand ist ungeheuer. Möglicherweise wird eine solche Ausstellung – das hat nun gar nichts damit zu tun, daß ich sie zufällig mache – zu einem späteren Zeitpunkt in dieser Form nicht mehr wiederholbar sein. Ein großer Teil der Vorbereitung bestand darin, jeweils mit einem Restaurator eine geeignete Verpackung und ein geeignetes Transportmittel zu entwickeln.

Es wurde der Verdacht ausgesprochen, daß die Ausstellung im Grunde den Verkaufswert steigern soll: Beuys und das Kapital?

Da müßte man die fürchterliche Unterstellung machen, daß die Museen ihre Werke verkaufen wollten! Ungefähr 50 Prozent der Leihgeber sind öffentliche Institute aus dem In- und Ausland, 50 Prozent sind private Leihgeber, bei denen sich die meisten Werke seit langer Zeit im Besitz befinden, denken sie an die van der Grindtens, langjährige Freunde von Beuys. Mir ist nicht ein Leihgeber bekannt, der mündlich oder schriftlich mitgeteilt hat, daß sein Objekt verkäuflich sein würde. Keine 10 Prozent der Exponate stammen aus dem Kunsthandel, eher 5 Prozent.

Wird es eine „Preisexplosion“ geben?

Das hat doch mit einer Ausstellung nichts zu tun. Für mich steht eine Höherbewertung fest, weil ich einen Teil meines Lebens mit diesem Werk verbracht habe. Für mich war er schon seit vielen Jahren der bedeutendste Künstler der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts.

Ich meine das auch im ganz allgemeinen Sinn: „Toter Künstler – guter Künstler“. Wie kommt dieses Verhältnis, dieser Marktmechanismus zustande?

Ich glaube, daß nach dem Tod von Beuys bei vielen Menschen das Bewußtsein entstand, daß er nicht nur ein eigenwilliger Künstler war – manche haben auch gesagt „Scharlatan“ –, sondern daß er versucht hat, einen neuen Weg zu gehen und der Kunst die entscheidende anthropologische Dimension zu gewinnen. Der Weg allein zählt, und das haben viele Menschen nach seinem Tod begriffen. Vielen jungen Menschen hat Beuys immer wieder zugerufen: Ihr wahres Kapital ist Ihre Kreativität. Sie sollten etwas von dem Geheimnis, das Beuys auch für seine eigenen Arbeiten beansprucht hat, sehen. Daß alle Sinne angesprochen sind, was weit über den konventionellen und tradierten Kunstbegriff hinausgeht. Und daß es nicht nur auf die Betrachtung und auf das Sehen ankommt, sondern auf das Höhere, überhaupt auf eine Rätselhaftigkeit, die den ganzen Menschen in seiner Wahrnehmung beansprucht. Inwieweit sich das in Werten, Summen äußert, das vermag ich nicht zu sagen. Das Interview führte Martin Reuter