: Der Hase ist tot
■ 16 Rauminstallationen, 120 Objekte und 22 Vitrinen
„Wo wäre ich hingekommen, wenn ich intelligent gewesen wäre!“ betitelte Beuys 1970/72 den zur kreisförmigen „Arena“ angeordneten „Schauplatz seines Lebens“: auf 264 Fotos ist der „Werkcharakter“ von Aktionen, Konzerten und Fluxusveranstaltungen fixiert – der Unterschied zwischen gegenwärtiger Tat und exemplarischer Vergegenwärtigung entspricht etwa dem von Urlaub und Urlaubserinnerungsfoto. Eine akkurate Reihe hintereinandergelehnter Rahmen macht das Rätselhafte des Schamanen ziemlich plastisch erfahrbar. Im „achsialen Schnittpunkt“, dem Zentrum des Lichthofs des Martin-Gropius-Baus, und in der Mitte der „Arena“-Tonne treffen sich die unsichtbaren Strahlen der Fotodokumente zu einer Großvitrine namens „Vitex Agnus Castus“ (ein Mittelmeergewächs). Unter kubischer Plexiglashaube arrangieren sich ein Ölkännchen und zwei Stapel von Wachs-, Fett- und Kupferplatten zum sakral Essentiellen. Die bedeutungssatte Materie schweigt einen total elementar an. Da hockt der ganze Beuys. Und plötzlich ertappt man sich dabei, wie man sich suchend umguckt nach der krumpeligen Weite des Lichthofes bei Beuys Zeitgeist-Installation von 1982 (Foto). Joseph ist doch nicht da.
Die Galerien um den Innenhof sind dicht an dicht mit den 456 grafischen Blättern (alle im 1. Katalogband reproduziert) des „secret blocks for a secret person in Ireland“ behängt. Blaß und kleinteilig behaupten sie ihre filigrane Unscheinbarkeit gegen den kunstgewerblichen Potemkinprotz der frischmarmorierten Säulen des Martin-Gropius- Baus. Nur für zwei Environments in den 23 Räumen mußte man den originalen Raumzusammenhang als Kulisse inszenieren, ansonsten durfte das überrestaurierte ehemalige Kunstgewerbemuseum, meist mit dezenten Gazetüchern abgedunkelt, „zur Sprache kommen“. So vielleicht kommts, daß die freundliche Verschrobenheit von Beuys mit einem Hau ins Kunstgewerbliche wirkt. Nur in einer guckkasten-bühnenbildartigen Installation „ich möchte meine Berge sehen“ 1950/71 antwortet der Blick durchs unverhängte Fenster – nämlich auf die Mauer und aufs ehemalige Gestapogelände – dem Arrangement: Vermittlung ist ein Faktor der „sozialen Plastik“. Ansonsten bedarf es einer besonderen Empfindsamkeit und Intelligenz, die Werke zu „verstehen“. Die Erklärungstafeln helfen da nicht viel weiter, denn „während Teile daraus auf Lebenszusammenhänge verweisen, entziehen sich andere Elemente der rationalen Deutung“(Bastian). Schön gesagt. Oder „der Verlust an Aura wird durch den Gewinn an Unmittelbarkeit aufgewogen“ (Armin Zweite). Die wiederum muß halt jeder selbst „erfahren“, wenn er sich sinnierend in den wie im Setzkasten gesammelten „Verweisen ins Mystische“ verliert. Vielleicht verbirgt sich das Beuysische doch nur in den staubigen Wachsecken, den verschmodderten Fettflecken, den Heftpflastern, Lehmklümpchen, und Filzpantoffeln, in den Details? In dieser hieratischen Mammutschau jedenfalls könnte man damit anfangen, sie zu suchen. Sabine Vogel
Joseph Beuys Ausstellung im Berliner Martin-Gropius- Bau, 20.2.-1.5./ 2 Kataloge bei Schirmer/Mosel, 40 und 45 DM
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