Die „Mythen“ der Hormon-Therapie

Internationale Endokrinologie-Kongreß im Hamburg / Bei der „Lehre der Hormone“ wird auch auf Gen-technischer Ebene geforscht / Östrogen-Pillen am Verkaufsstand waren der große Schlager / Geschlechtsumwandlung bei Kindern?  ■ Aus Hamburg Gabi Haas

Nimm ein vorher isoliertes Wachstums-Gen, sagen wir vom Menschen, schleuse es in das Erbgut einer geeigneten Bakterie, und los gehts. Literweise wird der umgebaute Einzeller jenes Wachstumshormon produzieren, das ansonsten mühsam und in viel geringeren Mengen aus organischem Gewebe extrahiert werden müßte. Einsetzbar ist der Stoff vielfältig, sei es zur Behandlung von Kleinwüchsigkeit oder zur Steigerung der Schweinemast.

Erst die Gentechnologie hat der Endokrinologie, der Lehre von den Hormonen, jene medizinische und auch wirtschaftliche Bedeutung verschafft, die letzte Woche auf dem internationalen Endokrinologie-Kongreß in Hamburg eindr dem die Konkurrenz schon jetzt auf Hochtouren läuft. Auf der parallel zum Krongreß veranstalteten Industrie-Ausstellung waren Östrogen-Pillen gegen die von älteren Frauen gefürchtete Knochenerweichung (Osteoporose) der ganz große Hit. „Dann haben sie nach den Wechseljahren endgültig Ruhe“, pries eine Firmenmitarbeiterin jungeniert ein Östrogen-Gestagon-kombiniertes Präparat an. Eine Behauptung, die gerade in Bezug auf das angepriesene Produkt bereits widerlegt wurde.

Am liebsten würden die Endo krinologen allen Frauen, die in die „kritischjen Jahre“ gekommen sind, vorbeugend gegen die Begleiterscheinungen des Klimakteriums Hormonpräparate verschreiben, obwohl letztlich nur 30 Prozent von ihnen an der Knochenerweichung erkranken. Die Pille für den Mann, der ja schließlich auch im fortgeschrittenen Alter unter „Nachlassen von Lebensqualität“ zu leiden har, bleibt in ferner Sicht. „Da sind wir noch nicht so weit, aber im nächsten Jahrtausend haben wir sicher auch was Schönes für den Mann im Alter.“

Die Wirkung der verschiedenen Hormone ist schon lange bekannt, ihre bio-synthetische Herstellung technisch kein Problem mehr. Dennoch, so klagte der Münchner Professor O.A. Müller vom Organisationskomitee der Deutschen Gesellscahft für Endokrinologie, unterliege die Hormontherapie noch immer „vielen Mythen“. Abseits der wissenschaftlichen Hauptprogramme, in den begleitenden „Kurzvorträgen“ und „Posterdiskussionen“ ist genug zu hören, stieß man auf Beispiele genug, das solches Mißtrauen rechtfertigt: Da ging es nicht nur um die Frage, durch welche Hormonkur dem Deutschen Edelschwein die größten Fleischberge wachsen, ganz ungeachtet dessen, wie diabetisch oder rachitisch die Borstenviecher am Ende auf der Schlachtbank landen. Da fand auch jener DDR-Mediziner G. Dörner sein Publikum, der mittels dubioser Hormonkurven die biologischen Ursachen für Homo- und Transsexualität bei Frauen nachweisen zu können glaubt. Gemeinsam mit einem Mainzer Institut will er jetzt das genetische Material der Begutachteten samt ihrer Familien aufschlüsseln und herausfinden, wo denn der erbliche Defekt nun wirklich sitzt.

Ein anderer Fall: Ein neugeborenes Kind mit sogenanntem G- Syndrom (Zwitter-Geschlecht) wurde mit männlichen Hormonen behandelt, um männliche Geschlechtsorgane auszubilden, obwohl die zugestandenermaßen aussichtsreiche und für den Patienten physiologischere Thera pie eindeutig die „Verweiblichung“ gewesen wäre. Der Grund: Das Kind war das Erstgeborene türkischer Eltern und diese wünschten sich unbedingt einen Jungen.

Schwerpunktmäßig ging es auf dem Hamburger Endokrinologie- Kongreß aber weniger um konkrete Therapiemethoden als vielmehr um die Frage nach den das hormonelle System steuernden Faktoren. So kennt man zwar die Wirkung der Hormone, nicht aber den Mechanismus, ihre Wirkung zu unterbrechen, was für die Behandlung bösartiger Tumore wichtig wäre. Geforscht wird an der „Zielzelle“, aber auch auf der genetischen Ebene, um die hormonellen Regulationsmechanismen zu erfassen.

Offen bleibt, ob man irgendwann einmal vielleicht gar keine Hormontherapie mehr braucht, weil man gleich am Erbmaterial den Menschen manipulieren kann.