Kritische Polizisten am WAA-Bauzaun

Bundestreffen der Kritischen PolizistInnen / Polizei versuchte, Treffen zu observieren / Angst vor Karriereknick verhindert Engagement / Konflikt zwischen Vernunft und Gewissen / Bayerns Innenminister hält die Gruppe für überflüssig  ■ Aus Schwandorf Bernd Siegler

„Da sind die Kritischen.“ Wie ein Lauffeuer verbreitet sich die Meldung unter den Sonntagsspaziergängern am Bauzaun der Wiederaufarbeitungsanlage im Taxöldener Forst. Gemeint sind die Mitglieder der „Bundesarbeitsgemeinschaft Kritischer Polizisten und Polizistinnen“ (BAG), die ihr zweites Arbeitstreffen am Wochenende in Schwandorf abhielten. „Wir sind klare Gegner der WAA“, erklärt unter dem Beifall der Oberpfälzer Bürger Holger Jänicke, seit zehn Jahren bei der Schutzpolizei in Hamburg. In schwarzer Lederjacke und schwarzen Jeans ist Jänicke zum Bauzaun gekommen und nennt die zur Festung ausgebauten WAA- Baustelle schlichtweg „eine Schweinerei“. Seine „kritischen“ Kollegen finden das Gebilde aus Betongraben, Superzaun, Stahlseilen und Stacheldraht einfach „deprimierend“. Seine „unkritischen“ Kollegen gehen derweil im Unterholz auf Tauchstation und beobachten aus sicherer Entfernung das Geschehen.

Mittlerweile haben sich 160 wackere PolizistInnen der BAG angeschlossen, die im Januar letzten Jahres aus der Gruppe „Hamburger Signal“ hervorgegangen ist. Spontan hatten sich nach dem „Hamburger Kessel“, bei dem im Juni 1986 etwa 800 Demonstranten rechtswidrig eingekesselt worden sind, kritische Polizisten in der Hansestadt zusammengeschlossen. Seit November 87 gibt es in Bayern eine Landesarbeits gemeinschaft mit etwa 30 Mitgliedern. Den Tagungsort Schwandorf hat die BAG bewußt gewählt. „Die Rolle der Polizei in der Auseinandersetzung um den Ausbau von Großtechnologien“ steht dabei im Mittelpunkt.

Nach Meinung der Kritischen PolizistInnen stellen die Einsätze der Polizei zum Schutz derartiger Anlagen „den Schutz der Privatrechte Einzelner – hier der Betreibergesellschaft – dar“. Die Polizei werde dabei zum „Erfüllungsgehilfen“. Um dies zu verhindern, so der Sprecher der BAG Manfred Mahr aus Hamburg, gehöre zur Ausbildung, daß junge Polizisten ermutigt werden, sich in Vereinen und Bürgerinitiativen zu engagieren, damit ihnen „das Obrigkeitsdenken gar nicht in die Wiege gelegt wird“. Dieses Engagement ist für ihn auch eine Garantie für „rechtsstaatliches Einsatzverhalten“ der Beamten. Er appelliert an seine Kollegen, nicht wegen rechtswidriger Einsätze den Polizeidienst zu quittieren. „Wir dürfen das Feld nicht denjenigen überlassen, die nur noch funktionieren.“

Gerade der Ausflug in die Oberpfalz, in die unmittelbare Nähe des Jahrhundertprojekts WAA, dürfte den Kritischen PolizistInnen klargemacht haben, daß noch viel Arbeit auf sie wartet. Als sich in der Nacht zum Sonntag sieben von ihnen unter kundiger Führung eines Schwandorfer BI-Mitglieds auf den Weg zum Bauzaun machen, dauert es keine zwei Minuten, bis die Polizei zur Stelle ist und die Personalien überprüft. Schon am nächsten Morgen fragt die Polizei bei den Eltern des BI- Mitglieds nach, ob deren Sohn wohl ebenfalls Polizist sei. Eine Demonstration am Sonntag zum Bauzaun wird der BAG mit Verweis auf die Bannmeile um das Baugelände verboten. Bereits am Samstag versuchte die Amberger Polizeiinspektion, einen Beamten zur Beobachtung des Treffens zu entsenden. Er wurde jedoch des Saales verwiesen. Reinhard Borchers aus der Hamburger Polizeieinsatzzentrale hätte es nicht für möglich gehalten, „auf so begrenztem Raum wie hier in der Oberpfalz eine derartige Drangsalierung zu erleben“.

Daß die BAG aus den etwa 220.000 bei der Polizei Beschäftigten nun massenhaften Zulauf bekommen werde, glauben die Kritischen PolizistInnen selbst nicht. Angst vor Disziplinarmaßnahmen und vor dem Karriereknick seien, so Manfred Mahr, für die geringe Mitgliederzahl verantwortlich. Zudem verstehe sich die BAG nicht als Massenbewegung. Die MitgliederInnen seien eher „Animateure, die Themen anschieben, die in Polizei und auch in der Gewerkschaft tabu sind“. „Wir müssen Impulse geben für die Gewerkschaftsarbeit“, meint Bernward Boden, seit 15 Jahren bei der Kölner Polizei.

Auch Erich Dier, seit 26 Jahren bei der Polizei und derzeit als Dienstgruppenleiter im bayerischen Pfaffenhofen, hat Angst vor Abmahnungen oder Disziplinarverfahren. „Doch wenn ich sehe, was läuft, kocht es in mir“, schildert er seinen Konflikt zwischen Vernunft und Gewissen. „Ich will auch vor mir bestehen.“ Gemeinsam mit seinen Kollegen fordert er einen Baustopp der WAA und lehnt die neue Spitzentruppe der Bayerischen Polizei, die „Unterstützungskommandos“, ebenso ab, wie die sog. „unverbindlichen Referentenentwürfe“ von Bundesinnenminister Friedich Zimmermann für die Zusammenarbeit von Polizei und Verfassungsschutz. „Wir wehren uns dagegen, zu Handlangern der Verfassungsschutzämter zu werden“, lautet das Resümee des Arbeitstreffens. Gegen den Verfassungsschutz selbst habe man jedoch nichts, stellt Manfred Mahr klar. Darüberhinaus fordert die BAG, daß Beamte in existentiellen Gewissenfragen Diensthandlungen ablehnen können, ohne damit automatisch eine Dienstpflichtverletzung zu begehen.

Während Nordrhein-Westfalens Innenminister Schnoor die Kritischen PolizistInnen zum Gespräch einlädt, gehen die Uhren im weißblauen Freistaat anders. Sein bayerischer Kollege August Lang hält die BAG für „überflüssig wie einen Kropf“.