Atom-Umschlagplatz Bremerhaven

Alleine 1987 wurden über Bremerhaven 226 Atomtransporte getätigt / Gesamtgewicht der atomaren Fracht: 10 Millionen Kilogramm Brutto / Unter den Zielorten der Transporte auch der südafrikanische Hafen Durban  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Frankfurt (taz) – Wie aus Unterlagen der Bremer Lagerhausgesellschaft(BLG) – die der taz vorliegen – hervorgeht, wurden im vergangenen Jahr in Bremerhaven insgesamt fast 10 Millionen Kilogramm Kernbrennstoffe und andere radioaktive Materialien inklusive Verpackung umgeschlagen. Während sich bei den radioaktiven Stoffen, die keine Kernbrennstoffe sind, Im- und Exportdaten in etwa die Waage halten, überwiegen bei den Kernbrennstoffen und den „radioaktiven Stoffen, die zur Herstellung von Kernbrennstoffen geeignet sind“, die Importe deutlich. Über die Reedereien „Sea Land“, „Transnautic“, „Incotrans“ und „Hapag-Lloyd“ wurden unbestrahlte Brennelemente, Uranhexafluoride und Urandioxide nach Bremerhaven verschifft. Das Material wurde dann von den Speditionsfirmen „Bachmann“, „Transintra“ und „Braunkohle“ nach Hanau und nach Lingen transportiert und zur Herstellung von Brennelementen verwendet.

Über Bremerhaven wurden 1987 – mit bundesdeutschen Spediteuren – auch sogenannte Transit-Geschäfte abgewickelt. So gingen etwa Uranhexafluoride aus den USA zu ASEA- Atom in Vesteras/Schweden. Unbestrahlte Brennelemente aus den USA waren für die Schweiz bestimmt und Uranhexafluoride aus der Sowjetunion wurden über Bremerhaven nach Amsterdam geschleust. Transit-Geschäfte, bei denen die BLG „lediglich“ die notwendigen Zwischenlager stellte, wurden 1987 auch zwischen Frankreich und den USA, zwischen den USA und Schweden und zwischen der BRD und Japan – es handelte sich hier um Uranoxid – abgewickelt.

Die Listen der BLG für die Exporte von Kernbrennstoffen weisen aus, daß im Januar 1987 auch 2.500 kg (brutto) Plutonium über Bremerhaven in die USA verschifft wurden. Zwar hat der „Hafensenat“ inzwischen versichert, daß es sich bei den angegeben Plutoniummengen um einen „Irrtum“ gehandelt habe, doch weder der „Hafensenat“ noch die BLG verfügen über Strahlungsmeßgeräte. „Die verlassen sich einzig und alleine auf die Angaben der Lieferanten“, meinte etwa der Grünen Ralf Fücks, Ratsmitglied und Atomexperte seiner Fraktion.

Aus Jülich wurden auch bestrahlte Brennelemente, aus denen Plutonium wiedergewonnen werden kann, in die USA exportiert. Als weitere „Exportschlager“ der bundesdeutschen Atomindustrie erwiesen sich Uranhexafluoride und Uranoxid aus Lingen sowie Natururan und Cäsium-137. In den Exportlisten der BLG taucht auch der südafrikanische Hafen Durban auf. Über die Reederei „SAECS“ wurde 11.500 Kilogramm (brutto) Cobalt-60, die angeblich aus Wildbad/ Schwarzwald stammen sollten, nach Südafrika verschifft. Cobalt-60 ist ein Gamma-Strahler mit einer Halbwertszeit von 5,27 Jahren. Bremerhaven, so Ralf Fücks, sei auch einer der Haupt- Umschlagplätze für südafrikanisches Natururan aus der Rössing- Mine in Namibia. Diese Mine werde „unter Bruch des Völkerrechts“ von Südafrika ausgebeutet. Nachdem sich die Hansestadt Lübeck, über deren Hafen bislang vor allem die Skandinaviengeschäfte der bundesdeutschen Atomindustrie abgewickelt wurden, erfolgreich gegen weitere Atomtransporte gesperrt hat, befürchten Grüne und andere Atomgegner noch eine Ausweitung des atomaren Umschlags in Bremerhaven für 1988. Obgleich wegen der fehlenden Kontrollmöglichkeiten Falschdeklarationen nicht auszuschließen seien, scheine man sich – so Eduard Bernhard von der Hanau-Bürgerinitiative – in Bremen das „Geschäft mit der tödlichen Fracht“ nicht entgehen lassen zu wollen. Der Bremer Senat hat dagegen vor Wochenfrist erklärt, daß er nicht gewillt sei, Bremerhaven zum „Ausweichhafen“ für Lübeck werden zu lassen. Die Grünen in der Bürgerschaft verlangen jedoch den generellen Stop der Atom-Umschläge in Bremerhaven. Die Fraktion hat schon im Februar einen entsprechenden Antrag eingebracht, der im März auf der Tagesordnung des Parlaments stehen wird.