Harte Anklagen gegen Colonia Dignidad

Gestern hat ein Bundestagsausschuß Sachverständige und „Auskunftspersonen“ über die Zustände der deutschen Kolonie im Süden Chiles angehört / Ehemaliger Botschafter Strätling weigert sich zu erscheinen  ■ Von Thomas Schmidt

Bonn (taz) – Mit einer Warnung eröffnete gestern Friedrich Vogel (CDU) die Sitzung des Unterausschusses des Bundestages für Menschenrechte und humanitäre Fragen, der sich mit der Colonia Dignidad befaßt. „Ich bitte Sie, von Beifallskundgebungen und Mißfallensäußerungen abzusehen, auch wenn es manchmal schwierig ist, wenn man emotional engagiert ist.“ Den Gewarnten, etwa 60 Angehörigen von Insassen der deutschen Siedlung im Süden Chiles, hatte man jedoch die direkte Begegnung mit zwei der Hauptverantwortlichen des Skandals verwehrt. Sie verfolgten die Aussagen der zwölf Sachverständigen und „Auskunftspersonen“, wie sie der Ausschußvorsitzende Vogel nannte, im Nebensaal an den Video-Geräten.

Die Kardinalfrage, die sich der Ausschuß gestellt hat: „Befinden sich deutsche Staatsangehörige unfreiwillig und unter menschenrechtsverletzenden Bedingungen in der Colonia Dignidad?“ Zwei ehemalige deutsche Botschafter in Santiago, die geladen waren, erschienen nicht: Hermann Holzheimer gab schriftlich bekannt, er habe die Kolonie nie besucht, es sei daher wohl überflüssig, daß er erscheine; Erich Strätling ließ ausrichten, daß der SPD-Abgeordnete Freimut Duve, Mitglied des Unterausschusses, ihn der Komplizenschaft mit der Kolonie beschuldige, und er selbst nun ein Verfahren gegen ihn wegen übler Nachrede angestrengt habe. Unter diesen Umständen ziehe er es vor, der Sitzung fernzubleiben.

Als erstem wurde Wolfgang Kneese das Wort erteilt. Der heute 42jährige Dokumentar beim Stern erzählte, daß es ihm 1966 beim dritten Fluchtversuch gelungen war, sich nach Santiago durchzuschlagen. Dort habe er sich zunächst in einem Altersheim versteckt, wo 15 Häscher der Colonia Dignidad vergeblich versuchten, ihn rauszuholen.

Drei Verfahren strengte die Siedlung vor der chilenischen Justiz erfolgreich gegen den Flüchtigen an. Er wurde wegen Pferdediebstahls verurteilt. „Fünf Jahre lang habe ich geschuftet, ohne einen Pfennig zu verdienen. Ja, dann habe ich mir eben ein Pferd mal geliehen“, um den ständigen Schlägen und Medikamenten zu entkommen. Ist Wolfgang Kneese der Verrückte, als den ihn kurz danach Dr. Hartmut Hopp, Chefarzt der Colonia Dignidad, hinstellen wird? Alles, was der nächste Zeuge vorträgt, spricht dagegen. Hugo Baar, ehemaliger Baptistenprediger, war Mitbegründer der Siedlung und ist 1984 geflohen. Neun Kinder mußte er dort zurücklassen. Bevor er die dortigen Zustände ausführlich schildert, bekennt er sich „mitschuldig“ daran, daß viele dorthin gegangen sind.

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