Hochexplosive „Midnight Trains“ zur Wiederaufbereitung nach Sellafield

Zwölf Londoner Bezirksverwaltungen ließen Studie über die Unfallanfälligkeit der Nuklear- Transporte durch die britische Hauptstadt erstellen / Zugcontainer mit Konstruktionsfehlern  ■ Aus London Rolf Paasch

Nachts, wenn die Pendlerzüge der britischen Eisenbahnen von der Strecke sind, gleiten dreimal die Woche unscheinbare Containerzüge über Viadukte und durch die Tunnel des Londoner Schienennetzes. Ihre Fracht: abgebrannte Brennelemente aus den drei südenglischen Atomkraftwerken. Ihr Bestimmungsort: die 600 km entfernte Wiederaufbereitungsanlage von Sellafield.

Die für diese Transporte verwendeten Nuklearbehälter, so hat eine jetzt im Auftrag von zwölf Londoner Bezirksverwaltungen erstellte Studie herausgefunden, könnten bei einem schweren Feuer so stark beschädigt werden, daß eine radioaktive Verseuchung Londoner Wohngebiete die Folge wäre. Die Sicherheitsstudie, vorgestern von der Ingenieursfirma „John Large Associates“ vorgelegt, weist auf schwere Konstruktionsmängel der Transportbehälter hin. Um ihre Aufprallanfälligkeit zu mindern, seien die Überdruckventile der Behälter versiegelt worden.

Mit dem Ergebnis, so der Bericht, daß die Container im Falle eines heftigen Feuers „wie ein Druckkochtopf ohne Ventil in die Luft gehen würden“. Selbst der aus neun Meter Höhe durchgeführte Aufpralltest sei unzureichend, weil es in Nordengland Eisenbahnbrücken gibt, von denen die 47 Tonnen schweren Behälter über 50 Meter tief stürzen könnten. „Das Problem ist“, erklärte ein Sprecher der „London Nuclear Information Unit“ der taz, „daß sich die britische Atombehörde blind an die Sicherheitsvorschriften der internationalen Atombehörde (IAEA) gehalten hat, die den von uns in Auftrag gegebenen Report nun als völlig unzureichend beschreibt“. Nach den internationalen Standards müssen die zwischen 1 cm und 3,7 cm dicken Behälterwände ein halbstündiges Feuer mit Temperaturen von 300C aushalten. „John Large Associates“ hält dagegen – bei einem Tunnelbrand beispielsweise – Temperaturen von bis zu 1.100C für möglich. Daß es mit der Sicherheit der benutzten Container nicht zum Besten bestellt war, hatte die britische Atombehörde UKAEA bereits 1962 in einer Studie festgestellt. Die jedoch verschwand damals rasch in den Schubladen Elektrizitätsbehörde (CEGB), die für Atomtransporte zuständig ist. Stattdessen inszenierte die CEGB im Sommer 1984 zur Beruhigung der Öffentlichkeit einen spektakulären Aufpralltest, bei dem sie genau wußte, daß nur ein relativ harmloses Szenario simuliert wurde. Die Elektrizitätsbehörde, die alle englischen und walisischen Atomkraftwerke betreibt, streitet die in der Studie vorgebrachten Kritikpunkte nicht ab. Sie hält lediglich das Risiko des darin angenommenen schweren Unfalls für äußerst gering.