Fast täglich fortschreitendes Abwaldheimern

In der österreichischen Öffentlichkeit geht kaum noch etwas ohne Bezug zur Waldheim-Affaire / Bundeskanzler Vranitzky (SPÖ) bot nochmals an, gemeinsam mit der ÖVP einen Nachfolgekandidaten zu suchen / Tritt er doch noch zurück?  ■ Aus Wien Antje Bauer

Auf den Titelseiten der österreichischen Boulevardzeitungen herrscht Entzücken über Olympia-Medaillen; im Inneren der Blätter holt das Thema Waldheim die Leser wieder ein. Ob es sich um die neuen Enthüllungen im Waffenskandal handelt, die den ehemaligen Regierungschef Fred Sinowatz von der sozialistischen SPÖ schwer belasten – oder um die patriotischen Gefühle einer Olympiasiegerin: Nichts geht mehr ohne Bezug auf das eine große Problem.

Während jedoch zur Zeit der Präsidentschaftswahlkampagne vor zwei Jahren die Empörung über ausländische Einmischungen vorgeherrscht hatte, lichten sich seit dem Bericht der internationalen Historikerkommission zu Waldheims Vergangenheit fast stündlich die Reihen der Unterstützer. In der konservativen Volkspartei ÖVP, die Waldheim als Kandidaten aufgestellt hatte, ist ein Zwist aufgebrochen, der immer weniger vertuscht werden kann. Von neun Landesparteisekretären sollen sich auf einer ÖVP- Vorstandssitzung nur noch zwei für Waldheim eingesetzt haben. Ausschlaggebend ist dabei wohl die Klage der Wirtschaftsbosse, die im Außenhandel inzwischen erhebliche Verluste hinnehmen müssen; auch der Fremdenverkehr ist merklich zurückgegangen.

Der parlamentarische Gegenspieler und Koalitionspartner, die SPÖ, versucht, den Keil weiter hineinzutreiben in die ÖVP. So wiederholte Bundeskanzler Franz Vranitzky bei einer Pressekonferenz am Dienstag sein Angebot an die ÖVP, sich auf einen gemeinsamen Nachfolgekandidaten zu einigen – ein Bonbon für deren Vorsitzenden und jetzigen Vizekanzler Mock, der im Falle von Nichteinigung, Rücktritt Vranizkys und Parlamentsneuwahlen um seinen Posten fürchten müßte. Die ÖVP will „irgendwann im Frühsommer“ Bilanz aus der Affaire ziehen, hieß es vor wenigen Tagen.

Doch schon droht der nächste peinliche Termine: der Jahrestag des „Anschlusses“ Österreichs an Nazi-Deutschland. Ursprünglich sollte an diesem Tag eine gemeinsame Sitzung von National- und Bundesrat (mit Waldheim-Rede) stattfinden, – jetzt schrumpft das Programm immer mehr. Die Rede ist noch von einem Staatsakt in der Wiener Hofburg. Und während zunächst nur wenige radikale Waldheimgegner gefordert hatten, er solle zu diesem Anlaß schweigen, mehren sich nun diese Stimmen.

So erklärte Finanzminister Ferdinand Lacina (SPÖ) am Dienstag, wenn Waldheim während des Staatsaktes das Wort ergreifen wolle, dann „nur in meiner Abwesenheit“. Das Angebot seiner Partei an die ÖVP, gemeinsam einen Kandidaten für die Nachfolge Waldheims zu suchen, gelte nicht unbegrenzt. Und: „Ein Neubeginn mit Waldheim ist nicht vorstellbar.“

Während die traditionellen Parteien mittlerweile vor allem schnell die Affaire hinter sich bringen und wieder zum Tagesgeschehen übergehen wollen, zeigt sich eine andere Gruppe hocherfreut über die aufgebrochenen Konflikte: der Republikanische Club – Neues Österreich. Seiner Initiative ist zu verdanken, daß seit dem Historikerbericht jeden Sonntag auf dem Stephansplatz demonstriert wird – „bis er zurücktritt“. Am Gedenktag selbst will die Gruppe mit einer Menschenkette und phantasievollen Aktionen ein Gegengewicht zu den offiziellen Feierlichkeiten setzen.

„In den vergangenen zwei Wochen ist hier eine halbe Revolution passiert“, resümierte ein Sprecher erfreut auf der dienstäglichen Sitzung; ein anderer spürte „ein Ende der Ohnmacht“.

„Die Aktionen werden weitergehen, auch nach dem 11. März“, erklärt der Student Doron gegenüber der taz, „auch nach einem Rücktritt Waldheims. Denn hier ist so viel aufgebrochen an Diskussionen. Hier gibt es so viel zu tun, daß es keinen Grund gibt, damit aufzuhören“. Die Zeit nach Waldheim? Beginnen dürfte sie frühestens nach dem 11. März, denn solange wird der Präsident wohl an seinem Posten kleben. Ein Rücktritt danach scheint nicht mehr völlig ausgeschlossen. „Sind Meldungen richtig, daß der Bundespräsident ein gewisses Sensorium für das Problem entwickelt hat“, fragte mit Wiener Diplomatie ein Journalist am Dienstag den Bundeskanzler Franz Vranitzky. Nachdenkpause. „Wenn es solche Meldungen gegeben haben sollte, würde ich sie als nicht ganz unzutreffend bezeichnen“, lautet die Antwort.