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Grüne gnädig mit Vergewaltigern

Bundestagsfraktion beschließt für ihren Gesetzentwurf eine Mindeststrafe von einem Jahr bei Vergewaltigungen / 16 zu 13 Stimmen / Grüne Männer mußten erst per Rundruf zur Sitzung geholt werden  ■ Aus Bonn Ursel Sieber

In der grünen Bundestagsfraktion wurde am Dienstag abend der Streit um die Mindeststrafe bei Vergewaltigungen entschieden: Die Fraktion fordert in ihrem Gesetzentwurf zu Vergewaltigungen nur noch eine Mindeststrafe von einem Jahr. Diese Entscheidung fiel mit 16 zu 13 Stimmen. Bereits im November hatte sich die Fraktion für dieses Strafmaß ausgesprochen und viel Empörung ausgelöst, weil sie sich damit über das von der Partei erarbeitete und auch von der vorherigen Fraktion übernommene Antidiskriminierungsgesetz hinwegsetzte: Dort sind zwei Jahre Mindeststrafe gefordert.

Mit dieser Entscheidung haben sich bei den Grünen diejenigen durchgesetzt, die das Ziel der Entkriminalisierung betonen. Den Ausschlag gab außerdem, daß eine einjährige Mindeststrafe leicht zur Bewährung ausgesetzt werden kann, während dies bei einer Mindeststrafe von zwei Jahren schwieriger, jedoch nicht unmöglich ist. So betonte die Berliner Rechtsanwältin Alexandra Goy, daß die entsprechende Vorschrift im Strafgesetz seit April 1986 so verändert worden sei, daß auch Strafen bis zu zwei Jahren zur Bewährung ausgesetzt werden könnten. Dieser Gesichtspunkt ging in der Debatte allerdings ziemlich unter. Bemerkenswert war, daß die Fraktions-Debatte im Vorfeld als „Frauendebatte“ gehandelt wurde und die männlichen Abgeordneten der Fraktion erst per Rundruf zur Sitzung geholt werden mußten.

Entstanden ist der Streit um die Mindeststrafe, weil die Grünen den Strafrahmen für Vergewaltigungen insgesamt weiter gefaßt haben: So fordern sie, daß die bislang gültige Trennung zwischen oraler, analer und vaginaler Penetration aufgehoben und die Konstruktiton des „minder schweren“ Falls aus dem Strafgesetzbuch gestrichen wird. Außerdem möchten sie, daß die Frauen nicht mehr Gegenwehr nachweisen müssen und allein die Formulierung „gegen ihren Willen“ in das Gesetz hineingeschrieben wird. „Wir sind gegen mehr Freiheitsstrafen“, so Martin Köhler, ein Mitarbeiter im Arbeitskreis „Recht und Gesellschaft“, und „wenn man den Strafrahmen weiter faßt, kann man im Gegenzug das Strafmaß senken“. Die Abgeordnete Jutta Oesterle-Schwerin erwiderte, diese Argumentation, die auf einen Handel hinausliefe, sei „ungeheuerlich“. Auch die Abgeordnete Verena Krieger betonte, sie sei grundsätzlich dagegen, „in irgendeiner Weise einen Deal zu machen“. Vergewaltigte Frauen hätten „ein Recht auf Wut und Aggressivität“; ein Recht, sich auch gegenüber dem eigenen Ehemann abzugrenzen. Sie sagte, es sei nicht die Aufgabe des „Arbeitskreises Frauenpolitik“ der Fraktion, sich über die Therapierbarkeit von Vergewaltigern auseinanderzusetzen. Die Männer selbst müßten dies endlich als ihre Aufgabe begreifen. Waltraud Schoppe plädierte dagegen für ein Jahr Mindesstrafe, „weil mir die Bewährung wichtig ist“. Frauen müßten auch die Möglichkeit haben, ein Strafverfahren „anzuhalten“.

Zur Lebensrealität von Frauen gehöre „die Hoffnung auf Versöhnung“. Sie forderte auch „Elternschulen“, weil „ein Schlüssel für das Verhalten von Männern, eigene Schwäche über sexuelle Gewalt an Frauen zu kompensieren, auch durch Erfahrungen bedingt seien, die sie im Elternhaus machen“. Christa Nickels betonte, die Schwere der Schuld sei in dieser Gesellschaft „untrennbar verbunden mit Knast“. Das wolle sie entzerren.

Zusammen mit ihrem Gesetzentwurf zur Vergewaltigung möchte die Fraktion nun einen Entschließungsantrag in den Bundestag einbringen. Sie fordert, daß den Männern bei Bewährungsstrafen bestimmte Auflagen wie Haus- und Stadtverbote gemacht werden. Diese Vorschläge blieben allerdings äußerst vage.

(Kommentar Seite 4)

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