Hessens „Wahlhelfer“ Degussa

■ Wahlkampfmanipulation durch die Atomindustrie / Selbstanzeige der Transnuklear bis zur Hessenwahl 87 verschleppt / „Ministerpräsident von Degussas Gnaden“ / Auch RWE und Preag waren eingeweiht

Frankfurt (taz) – „Wegen der nicht auszuschließenden Öffentlichkeitswirksamkeit“ hat der Nukem/Transnuklear-Anteilseigner Degussa die Selbstanzeige des Transnuklear-Geschäftsführers Fischer „bis an den Hessenwahltermin 87“ heran „verschoben“, so daß die Staatsanwaltschaft vor dem Wahltermin (5.4.) nicht mehr aktiv werden konnte. Das erklärte Degussa-Chef Gerd Becker am Dienstag abend vor dem Hanau-Untersuchungsausschuß des hessischen Landtages. Gerd Becker, der – mit Billigung der CDU/ FDP-Landesregierung – die Skandalfirma Transnuklear erst Ende Januar in die „unternehmerische Obhut“ genommen hatte, löste mit seinem Bekenntnis bei den Oppositionsparteien Grüne und SPD einen Sturm der Entrüstung aus. So sprach der Fraktionsvorsitzende der Grünen, Joschka Fischer, von „Wahlkampfmanipulationen durch die Atomindustrie zugunsten der CDU“ (siehe auch Interview), und in einer Presseerklärung bezeichneten die Grünen Wallmann als „Ministerpräsident von Degussas Gnaden“.

Durch die Verschleppung der Transnuklear-Selbstanzeige durch die Degussa basiere die CDU/FDP-Regierungsbildung in Hessen auf einer „bewußten Täuschung der Öffentlichkeit“. Der hessische SPD-Landtagsabgeordnete Lothar Klemm warf der Degussa vor, mit der Anzeigenverschleppung bewußt Einfluß auf die Wahlentscheidung der BürgerInnen genommen zu haben. Die SPD verlangte gestern in Wiesbaden die erneute Überprüfung der Zuverlässigkeit der Degussa und forderte Wallmann auf, dem Untersuchungsausschuß und dem Landtag lückenlos Bericht zu erstatten. SPD-Pressesprecher Zinnkann stellte fest, daß – nach der Offenlegung des „Skandals im Skandal“ – bei der CDU die Nervosität um sich greife.

Wallmann hatte es im Januar begrüßt, daß jetzt die „noble, hessische Firma Degussa“ die Transnuklear unter ihre Fittiche genommen hatte. Wallmann und auch die Degussa hatten in den letzen Wochen mehrfach den Vorwurf zurückgewiesen, daß die Anzeige der Transnuklear wegen der Hessen- Wahl bewußt verschleppt worden ist. Wegen juristischen und wirtschaftlichen Prüfungsvorgängen habe man die Selbstanzeige nicht früher stellen können. In der Be fragung vor dem Untersuchungsausschuß legte Degussa-Chef Becker jedoch eine Aktennotiz vor, die bestätigte, daß mit Rücksicht auf die anstehende Wahl und in vertraulicher Absprache mit den Konzernspitzen von RWE, Preußen-Elektra und Degussa die Selbstanzeige bewußt verzögert wurde. Die Aktennotiz über das taktische Zurückhalten der Anzeige war u.a. für das damalige Degussa-Vorstandsmitglied Berhard Liebmann angefertigt worden. Liebmann ist seit Mitte Januar neuer Chef der Nukem. Ihm war für diese Ernennung eigens die besondere Zuverlässigkeit vom hessischen Umweltminister Weimar attestiert worden. Der hessische CDU-Fraktionschef Nassauer sagte gestern zu den bekanntgewordenen Wahlmanipulationen, durch die zurückgehaltene Anzeige sei vor allem die hessische SPD geschont worden, in deren politische Verantwortlichkeit der Skandal gefallen wäre. Die SPD bewertete dies als „groteske Verrenkung“ und „völlig abstruses Argument der CDU“. kpk/-man-